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Politische Briefe. VIII. : Die Aussichten der Zollreform im Reichstage.
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schaften für die Macht des Reichstages, für die Macht der Landesvertretungen, für die Selbständigkeit der Bundesregierungen und sogar für den Einfluß der letzteren auf die Reichsregierung. Kein geringer Preis ist es, schon mehr eine Art Preiskourant, ans Grund welches die Herren mit sich handeln lassen wollen, denn glücklicherweise haben sie noch keine festen Preise aufgestellt. Aber ob das wohl alles so ernsthaft gemeint ist? Es ist schwer, an diesen Ernst zu glauben, wenn man Folgendes erwägt.

Es steht fest, daß die Verhandlungen zwischen Berlin und dem Vatikan zur Beilegung des Kirchenkonfliktes dem Ende noch nicht entgegengehen, weder dem Ende des Abbruches noch dem Ende der Vereinbarung. Die Entscheidung der deutschen Finanzreform im Reichstage wird für diese Verhandlungen unter allen Umständen einen wichtigen Zwischenfall bilden; das kaun man sich sagen, ohne ein tiefer Politiker zu sein. Nehmen wir an, das Zentrum träte für den ganzen Finanzplan des Reichskanzlers ein und verhälfe diesem damit zum Siege, so wäre es fortan unmöglich, das Zentrum eine reichsfeindliche Partei zu nennen. Welches immer die Rechnung des Zentrums bei einem solchen Verhalten gewesen sein möchte, die Thatsache bliebe bestehen, daß die folgen­reichste Maßregel zur Sicherung des Deutschen Reiches dem Zentrum verdankt werden müßte. Wie wäre es möglich, die Partei, welche den festesten Bau­stein zum Reiche gelegt zu beschuldigen, daß sie noch auf die Zerstörung des­selben sinne? Welche Rechnung man immer dem Zentrum unterschieben wollte, niemand könnte leugnen, daß in dieser Rechnung das Deutsche Reich als positive und als beständige Größe, nicht aber als wegzuschaffende figu- riren muß. Demzufolge könnte bei den Verhandlungen mit Rom die Existenz der Zentrumspartei nicht mehr als Friedenshinderniß, nicht mehr als Ursache des Bedenkens gegen Einräumungen an die katholische Kirche in Betracht kommen. Dies ist ein Thatbestand, den unseres Erachtens Jeder sehen kann, der Augen zu sehen hat. Nehmen wir aber jetzt den entgegengesetzten Fall, den Fall, daß das Zentrum die Finanzreform im jetzigen Reichstage vereitelt, so wird es die Nothwendigkeit von Neuwahlen herbeiführen. Die Hauptprobe aufrichtigen Willens znm Frieden, welche die Reichsregierung von dem Vatikan alsdann verlangen muß, ist daß der Klerus bei den Neuwahlen sein Ansehen nicht zu Gunsten des Zentrums, sondern zu Gunsten nicht reichsfeindlicher Abgeordneten in die Wagschale werfe. Ob die Herren vom Zentrum ernstlich die Absicht haben, sich zwischen die beiden Feuer der vatikanischen Verleugnung und der neuen Popularität des Reichskanzlers auch bei den katholischen Wähler­massen zu stellen, muß man sehr bezweifeln. Wir können daher nur wieder­holen, was wir im ersten dieser Briefe gesagt: Das Zentrum ist nicht nur bei den Schutzzöllen, sondern auch bei den Fiuauzzöllen kein gefährlicher d. i.