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Die Berliner Theater.
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norddeutschen Bundes mit großer Majorität angenommen wurde. Am 13. April 1869 fanden jene denkwürdigen Debatten statt, aus denen folgender Paragraph der Gewerbeordnung hervorging:Schauspiel-Unternehmer bedürfen zum Be­triebe ihres Gewerbes der Erlaubniß. Dieselbe ist ihnen zu ertheilen, wenn nicht Thatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Nachsuchenden in Bezug auf den beabsichtigten Gewerbebetrieb darthun. Beschränkungen auf bestimmte Kategorieen theatralischer Darstellungen find unzulässig." Am Schluß der Debatten sprach der Abgeordnete Braun, der sich gern in Prophezeiungen zu ergehen Pflegt, das denkwürdige Wort:Die Neigung zu vaterländischen Dingen ist da; geben Sie nur einmal Theaterfreiheit, wir werden dann viel­leicht in fünf Jahren eine Aristophanische Komödie in Berlin haben, worin auch Sie und wir vorkommen."

Die Hoffnung des Abgeordneten Braun, der von Theater-Angelegenheiten ungefähr soviel zu verstehen scheint wie von Rumänien, hat sich leider nicht erfüllt. Als ob in fünf Jahren eine Aristophanische Komödie so mir nichts, dir nichts aus der Erde wüchse! Zehn Jahre sind verflossen, und wir find weiter als je zuvor von einerAristophanischen Komödie" entfernt. Zehn Jahre sind verflossen, in denen sich die Theaterfreiheit, deren Einführung Anno 1869 als eine reformatorische That ohne Gleichen gepriesen wurde, zur Ge­nüge erproben konnte. Und heute? Heute sehnt man sich ebenso herzlich nach dem alten Konzessions- uud Monopolwesen zurück wie nach dem Zunftzwang, nach der Aufhebung des Freizügigkeitsgesetzes, nach der Wiedereinführung der Mahl- und Schlachtsteuer und nach anderentyrannischen Beschränkungen", die vor zehn Jahren auf's lebhafteste bekämpft wurden.

Durch die Aufhebung derBeschränkungen auf bestimmte Kategorieen theatralischer Darstellungen" wollte man einerseits den Privatbühnen Gelegen­heit zur Aufführung klassischer Stücke geben, von denen man sich eine Hebnng der allgemeinen Volksbildung und des sittlichen Bewußtseins im Volke ver­sprach, andererseits wollte man durch eine solche Konkurrenz die Hofbühnen anspornen,ihre Leistungen höher und höher zu spannen". Mit einem Elan ohne Gleichen stürzten sich denn nun auch die Leiter der neu erstandenen Volksbühnen" dem hohen, ihnen von den Parlamentsrednern gezeigten Ziele entgegen. Während früher nur dasVorstädtische Theater" die Schaulust des Volkes durch Vorführung einheimischer und französischer Schauerdramen be­friedigte, wuchsen bis zum 1. Oktober 1869 in allen Vorstädten Musentempel aus der Erde, welche sich die Pflege des klassischen Dramas zur Aufgabe ge­stellt hatten: das Nationaltheater, das Belle-Allianeetheater, das Louisenstädtische Theater, das Reuniontheater, das Walhalla-Volkstheater u. s. w. Das letztere war übrigens vorsichtig genug, sich eine Hinterthür offen zu halten, um im