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von gedruckten Liederbüchern wußte. Endlich war auch der sonstige Verkehr wenigstens zwischen den Bulgaren und Serben einerseits und andererseits den Nordkroaten Ungarn's, die einer anderen Konfession angehörten und unter einer anderen Regierung standen, Jahrhunderte hindurch und bis in die neueste Zeit hinein ein sehr geringer, und so muß man den Ursprung dieser Lieder wohl in eine Periode verlegen, wo die Kroaten, Serben und Bulgaren noch ein und dasselbe Volk waren. Darauf weist auch ihr alterthümlicher Charakter und das Heidenthum hin, das sich selbst in den Liedern, die von kirchlichen Heiligen, von Maria und Christus erzählen, deutlich ausprägt.
„War aber," so bemerkt Rosen, nachdem er dies gezeigt, „mit diesem nr- anfänglichen Gemeingut dem poetischen Geschmack einmal eine bestimmte Richtung gegeben, so konnten glückliche Erfindungen wie z. B. der Eingang zu Goethe's Klagegesang von der edlen Frauen des Asan Aga (den ein mohammedanischer Herzegowiner oder Bosnier gedichtet haben muß), der Zweifel, ob das Weiße am fernen Berge Schnee sei oder Schwäne, dann Widerlegung beider Vermuthungen und Angabe des Richtigen als unmittelbare Vorbereitung des Dramas sich allmählich von Stamm zu Stamm und von Volk zu Volk Feld erobern. Der Leser der von uns vorgelegten Gedichte wird denselben Eingang in dem Stücke „Verwandlung der Jana" wiederfinden und einen sehr ähnlichen in dem Gedichte „Die Befreiung Asan Aga's", wo es heißt:
„Sagt, was jammert in dem dunkeln Kerker? Ist's der Drache? Ist's die Fee des Berges? Wär's der Drache, im Gesteine süß er; Wär's die Fee, sie wäre im Gebirge. Nein, es ist der junge Asan Aga" u. s. w.
Wo ist hier das Original und wo die Nachahmung? Niemand vermag es. zu sagen." Wahrscheinlich aber hat der bulgarische Dichter ebenso gut aus dem längst vor ihm dagewesenen nationalen Gemeingut geschöpft wie der herzego- winische Poet. „Je mehr bulgarische Lieder man liest, desto mehr muß man finden, daß jede neue Produktion nur die modifizirte Gestaltung von etwas schon dagewesenem ist, und wenn die Namen der Verfasser ausnahmelos in dem Meere des dichterischen Gesammtvolkes versenkt bleiben, so ist hier der Grund zu suchen. Denn es ist das Volk selbst, dem die wie in einem Kaleidoskop zahlreich zusammenliegenden dichterischen Ausdrücke und Motive angehören, und wenn schon eine leichte Bewegung dieses Vorrathes neue Figuren erzeugt, so ist es ziemlich gleichgiltig, wer dabei die Hand führt."
Die Volkslieder der Bulgaren zerfallen wie die der übrigen Südslaven in Heldenlieder (Junatschke Pjesne) und Frauenlieder (Zenske Pjesne). Die ersteren werden nur von Männern, die letzteren von den Weibern bei Anführung der oben erwähnten feierlichen Tänze gesungen. Das Volkslied ist der Spiegel der Volksseele oder, wenn man will^ das Lautwerden der Stimmung, in der sie sich befindet, und so weisen auch in diesen Gesängen gewisse Eigenthümlichkeiten auf die Zustände hin, in welchen das Volk in Makedonien bis vor Kurzem lebte und zum guten Theil noch lebt. Hier redet fast jeder Distrikt seinen besonderen Dialekt, die Bevölkerung schließt sich clanartig nach Außen hin ab, selbst der Verkehr im Innern dieser Kreise ist dürftig, und Alles stag- nirt in Folge dessen. Diesen Verhältnissen entspricht der Charakter der bulgarischen Volkspoesie mit ihrem idyllischen Stillleben, ihrem starken Interesse an Familienereignissen, ihren grausigen Erzählungen und den Spukgestalten, um die sie sich so gern dreht. Man hat sich gewundert, daß die bulgarische Sprache