- 348
auch nicht vollständig, schon im „Jungen Goethe". Loeper, der ja stets mit größter Genauigkeit über dergleichen Dinge Rechenschaft gibt, ist hier nicht ganz konsequent verfahren; man vermißt in seiner Ausgabe bei Nr. 32 und 43 die Notiz, die in den anderen Fällen nicht sehlt, daß auch diese Briefe schon vor Frese's Publikation bekannt waren.
Wozu aber überhaupt nach weniger als zwei Jahren nochmals eine neue Ausgabe dieser eben erst von Frese veröffentlichten Briefe? Nun, diese ist wahrlich nicht überflüssig, und man kann Loeper nicht dankbar genug dafür sein. Frese hat die Briefe nach Kopieen herausgegeben, die sich Fritz Schlosser, der Neffe von Goethe's Schwager, 1806 ziemlich flüchtig von den ihm damals vorliegenden Originalen gemacht hatte, und die jetzt von der Familie Bernus auf Stift Neuburg aufbewahrt werden. Loeper dagegen hat 19 Briefe, etwa zwei Drittel des gesammten Textes, nach den Goethe'schen Originalen herausgegeben, die sich im Besitz des Appellationsgerichtsraths von Lützow in Glogau, einem Urenkel von Sophie La Röche, befinden. Auf diese Weise ist nicht nur in dem größeren Theile der Briefe die echte Goethe'sche Schreibweise, welche in den Schlosser'schen Abschriften vielfach willkürlich verändert erscheint, nun genau reprodnzirt, sondern der Text der Briefe auch von einer Anzahl sinnentstellender Fehler gereinigt worden. Vor allem aber hat Loeper, was Frese nur sehr zum Theil gelungen ist, in einem reichhaltigen Kommentar fast alle in den Briefen angedeuteten Beziehungen, auch die entlegensten, nachgewiesen und hierdurch die ganze Brieffolge, die zum größten Theile undatirt ist, unzweifelhaft richtig datirt, fo daß sie sich nun vortrefflich in die im „Jungen Goethe" veröffentlichte Sammlung einfügen und als biographische ebenso wie als literar- geschichtliche Quelle bequem und zuversichtlich benutzen lassen Hierzu gehörte freilich der unermüdliche Spürsinn und die bewundernswürdige Sachkenntniß Loeper's.
Wer die Briefe Goethe's aus den Sturm- und Drangjahren in Hirzel's Sammlung überblickt, dem muß ihr eigenthümlich abspringendes, aphoristisches, andeutendes, orakelhaftes Wefen auffallen. Zum Theil mag diese Eigenthümlichkeit auf Rechnung des kraftgenialischen Gebcchrens jener Zeit überhaupt zu setzen fein, zum Theil auf die immer neu genährte leidenschaftliche Erregung, in der sich Goethe selber damals befand, zum Theil aber hängt sie sicher, wie Frese richtig bemerkt, mit dem ganzen Charakter des Briesverkehrs jener Zeit zusammen. Sie tritt ja keineswegs blos bei Goethe hervor. Briefe waren damals fast wie literarische Novitäten, sie gingen von Hand zu Hand, man zeigte sie einander in Freundeskreisen, las daraus vor, schickte sie von einem Kreis in den anderen. Leuchsenring, der auch zu dem La Roche'schen Kreise gehörte, reiste förmlich in Briefschaften. „Er führte," wie Goethe selbst in ,Dichtung und