ihm entwickeln, zum Frommen zunächst des eroberten Landes, dann der erobernden Macht, die ihr Gebiet durch die Okkupation zugleich naturgemäß abrundete und sicherte.
G
Line Aaugescljichte von Dresden.
Wer auch nur ein einziges Mal auf der alten Elbbrücke Dresden's gestanden, den Blick hinübergewandt nach der Altstadt, der wird in seinem Leben das Bild nicht wieder vergessen, das dort seinem Auge sich geboten. Zur Linken die Brühl'sche Terrasse, die „hängenden Gärten" der Stadt, dahinter die imposante Silhouette von der Kuppel der Frauenkirche, flankirt von zierlichen Glvckenthürmen; im Vordergrunde, seitlich vom königlichen Schloß der in luftigen Etagen sich aufbauende Thurm der katholischen Hofkirche nnd dicht daneben der langgespitzte Schloßthurm; weiter uach rechts in der Ferne die edle Fayade des Museums, vorn die festlich geschmückte Exedra des neuen Hoftheaters — welch' ein unvergleichlicher Akkord von Linien und Formen! Ein einziger Mißklang stört ihn: der eckige, schmucklose, aufdringliche Oberbau des neuen Theaters. Und doch, zur Schöpfung dieses einheitlichen Architektur^ bildes, das durch eiu einziges Machtwort hervorgezaubert zu sein scheint, wie viele Generationen haben im Laufe der Jahrhunderte dazu beigesteuert!
Was aber von diesem einzelnen Bilde gilt, das gilt im Wesentlichen von dem architektonischen Charakter der Stadt überhaupt: abgesehen von einigen wenigen dissonirenden Klängen — wie der fatalen Gothik der neuen Kreuz- schule — ein wunderbar harmonischer Gesammteindruck, wie wenige Städte ihn bieten werden. Und doch, wenn man von den großen Plätzen einbiegt in die Straßen, von den Straßen in die Gassen und Gäßchen uud nun das Auge über den bunten Flitter der Schaufenster hinaufschweifen läßt an skulpturengeschmückten Portalen, Erkern und Giebeln, wenn man auf die stumme und doch so vernehmliche Formensprache lauscht, die dort uus überallher entgegenklingt, wie ändert sich da allmählich das Bild! Was bei flüchtiger Betrachtung auf ein und derselben Bildflüche zu stehen schien, tritt vor und zurück und vertheilt sich auf verschiedene Pläne; wir gewahren ein Nacheinander, wo wir erst nur ein Nebeneinander zu sehen meiuten, das starre Bild kommt in Fluß, uud an die Stelle des Gewordenen tritt das Werden, die Entwickelung, die Geschichte. Wer uus eiueu sichern Maßstab in die Hand gäbe, der uns zeigte, ob diese Verschiebungen unserer Perspektive auch den thatsächlichen Verhältnissen immer entsprechen?
Grenzboten I. 1879. . 9