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Zur Kritik des gegenwärtigen Kunstgewerbes. I : die Monogrammen-Manie.
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Eindruck eines Zierrats macht. In allen übrigen Fällen muß entweder dem einen Buchstaben, öfter aber beiden, so lange Gewalt angethan werden, sie müssen durch Dehnen, Zerren, Quetschen, Abstumpfen, Schwänzen, Umbrechen, Verdrehen, Stürzen u. dgl. so lange malträtirt werden, um sich zu dem er­sehnten Monogramm zu fügen, bis die Buchstaben als solche gar nicht wieder­zuerkennen sind. So sind eben nur zwei Möglichkeiten denkbar: Entweder die Buchstaben fügen sich in ihrer normalen Gestalt leicht, bequem und deutlich erkennbar zum Monogramm; dann machen sie nicht entfernt irgend welchen dekorativen Eindruck, sondern sie bleiben eben nüchterne Buchstaben, und man sieht nicht recht ein, wozu überhaupt das Verschlingen und Durcheinanderstecken; beide könnten eben so gnt neben einander stehen. Oder man hat bei ober­flächlichem Hinsehen ungefähr den Eindruck eines, wenn auch äußerst abge­schmackten Ornaments; dann muß man sich aber mühselig die verzerrten Zeichen erst wieder zu Buchstaben umdenken, um sie lesen zu können. Buchstaben aber, und folglich auch Monogramme, sind doch wohl dazu da, gelesen zu werden.

Daß ich in dem Vorstehenden nicht übertreibe, davon kann sich der Leser an dem Schaufenster der ersten besten Luxnspapierhandlung, lithographischen An­stalt oder Aceidenzdruckerei überzeugen, oder er nehme die erste, beste Nummer eines unserer verbreiteten Modejournale zur Hand, er wird auch dort das Gesagte bestätigt finden. Wer aber die ganze Narrheit dieses Mouogrämmen- uufugs einmal in ihrer vollen Blüthe sehen will, der suche sich das vor einiger Zeit unter dem TitelDas Gewerbemonogramm" erschienene Prachtwerk zu verschaffen.*) Dieses Buch, übrigens eine Glanzleistung des Holzschnitts wie der Typographie, enthält auf 84 Tafeln in Großqnart in brillantester Aus­stattung weit über tausend aus zwei Buchstaben und gegen 50 aus drei Buch­staben zusammengesetzte Monogramme, außerdem eine Anzahl solcher eine unfaßbare Kinderei, in denen sämmtliche Buchstaben eines Vornamens durch einander verschlungen sind (!), endlich 12 Tafeln mit Kronen, heraldischen Dar­stellungen und gewerblichen Emblemen. Was dieses Buch alsMonogramm" ausgibt, das spottet geradezu jeder Beschreibung; man muß es gesehen haben, um es zu glauben. Vier Jahre lang ist der Zeichner dieses Buches der Schrulle nachgegangen, neue und immer neue Monogramme zu erfinden. Bei allen er­denklichen Gattungen des Stils und der Technik hat er Anleihen gemacht und seine Phantasie in der unglaublichsten Weise gemartert; vieles davon sieht aus, als ob es unter Krämpfen oder Delirien geboren wäre. Und wozu nun dieser ganze Aufwand von Zeit und Mühe? Höchstens der zehnte Theil von dem

*) Das Gewerbe-Monogramm. Herausgegeben von Martin Gerlach. Wien, Verlag von M. Gerlach K Co. IM77Z.