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Erlösung und Erlöser. Er sieht in Christus wohl die vorzügliche Erschei- Nttug und Wirksamkeit des erlösenden Gvttesgeistes, zn der wir immer wieder am liebsten ausschauen, aber genügt dies? Der christliche Glaube fordert, in Christus die Erscheinung sittlicher Vollkommenheit, die sehllose Verwirklichung des sittlichen Ideals zu sehen; nicht relative, sondern schlechthin in sich vollendete Offenbarung des Guteu ist ihm Christns. Diese beschränkende Werthschätzuug Christi scheint uns wesentlich dadurch bedingt zu sein, daß Pfleiderer überhaupt die Erlösung in der Sphäre der Kenntniß sich vollziehen läßt. Das Bewußtsein, daß Gott Vater ist, das besonders kräftig in Christns sich uns darstellt, das aber auch nach seinem Vorbilde in uus sich erzeugen soll, das ist ihm die erlösende und versöhnende Macht. Von diesem Gesichtspunkte aus ist allerdings eiue schlechthin sittliche Vollkommenheit Christi entbehrlich. Der spekulative Nationalismus stimmt darin ganz mit seinem älteren Brnder überein, daß wir in Christus das anschauliche Vorbild und Sinnbild dessen, was anch von uus und an nns geschehen soll, zu erkennen haben, und daß dies Vorbildliche in eiuer sittlich kräftigen religiöse» Erkenntniß zn suchen sei. Nicht unerwähnt lassen können wir das wegwerfende Urtheil Pfleiderer's über die evangelischen Wundererzählungen. Er vergleicht sie mit den buddhistischen und kommt zu dem Resultat, daß die buddhistische Legende, „au Wunderlichkeit durchschnittlich noch darüber hinausgehe" (S. 92). Den Vorwnrf der Wunderlichkeit Pflegen sonst auch die Bestreiter des geschichtlichen Charakters der evangelischen Wunderberichte nicht gegen sie zu erhebe».
Ausgezeichnet ist der folgende Aufsatz Professor Beyschlag's in Halle: Ueber die Sündlvsigkeit und menschliche Entwickelung Jesu, der gerade das Gegentheil dessen erhärtet, was die Ansicht Pfleiderer's ist. Während letzterer sich mit einem Christus begnügen will, der nur eiue vorzügliche Erscheinung des erlösenden Gottesgeistes ist, erklärt Beyschlag: „Wer die Begriffe Gnt und Böse nicht für relative, fließende Unterschiede nimmt, sondern sür absolute Gegensätze — und jedes ernste, sittliche Denken wird und muß das thu», — dem verschwindet doch jeder relative Unterschied des Besseren uud Schlimmeren znletzt gegen den absoluten von Sündig nnd Heilig, und so bliebe ein irgendwie sündiger Jesus bei aller Sonnenhöhe, in der er über uns stünde, doch von dem heiligen Gotte schließlich durch dieselbe Fixsternweite getrennt wie wir alle; anstatt der zu sein, der den Abgrnnd zwische» uns und Gott überbrückte, der Heiland, der Erlöser der Menschheit." (S. 113—114.)
Das Wesen des christlichen Glaubens bildet den Gegenstand des letzten Vvrtrags. Sein Verfasser ist Professor Nippold i» Bern. Wir können uns hier sehr kurz fassen. Nippold ist jeder begrifflichen Bestimmtheit in der Sphäre des religiösen Denkens sehr abhold, in Folge dessen verflüchtigt sich