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Die Entwicklung des altrömischen Kriegswesens. VI : die Zeit des Hannibalischen Krieges.
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Nach unendlichen Mühseligkeiten und Kämpfen mit kriegerischen Berg­völkern erreichte Hcinnibal in den ersten Septembertagen die Paßhöhe, und nach 9 noch schwereren Tagen, welche beispiellose Anstrengungen von den Truppen forderten, stand er am Fuße des Gebirges in Italien. Das Ziel war erreicht, doch mit schmerzlichen Opfern. Von den 59,000 alten Soldaten, welche den Marsch angetreten hatten, war mehr als die Hälfte ein Opfer der Gefechte, Flußübergänge nnd Anstrengungen geworden. 6000 Reiter, doch zum Theil wohl nicht mehr beritten, und 20,000 Mann zu Fuß, nämlich 12,000 Libyer und 8000 Spanier, bildeten seine ganze Macht. Der große Gedanke aber, Italien von Norden her, von Gallien aus anzugreifen, war jetzt zur That ge­worden.

Und nun erlitten die römischen Heere die beiden Niederlagen am Ticinus und an der Trevia. Hannibal zog durch die Moräste des Arnus südwärts, und in dem Engpaß am Trastmenischen See ging das stolze Heer des Konsuls Flaminius blutig zu Gruude.

Rom war auf's Aeußerste bedroht; binnen drei Tagen zeigten sich die numidischen Reiter kaum .10 Meileu von der Stadt; kein Heer stand zwischen ihr nnd Hannibal. Aber der Senat bewahrte seine Haltung. Er setzte die Stadt in Vertheidignngszustand, bewaffnete die ausgediente Mannschaft mit den in den Tempeln aufgehängten Trophäen und erneute das alte Amt der Diktatur. Es war nicht möglich, in den Formen des Gesetzes den Diktator durch einen der Konsuln ernennen zu lasseu; denu Flaminius war in der Schlacht gefallen, und zwischen Servilins und Rom stand der Feind. Daher wählte das Volk einen Prodiktator, den Qnintus Fabius Maximus. Dieser hob zwei neue Legionen aus und zog die beiden des Konsuls Servilins ebenfalls heran, diese aber nur, um die bei Ostici liegenden Schiffe zu bemannen, in See zu stechen und znr Verstärkung nach Spanien abzugehn: ein Zeichen noch ganz ungebrochenen Selbstvertrauens. Und doch war man schon gezwungen, eine Volksklasse zum Dienste ausznheben, welche in guter alter Zeit als unberechtigt zum ehrenvollen Waffendienste galt: die Libertinen, d. h. die von Freigelassenen abstammenden Bürger. Indeß wählte man zunächst nur solche, welche Familien­väter waren und somit Gewähr für vaterländische Gesinnung gaben.

Die Sorge, Hannibal werde sich unmittelbar gegen Rom wenden, war unbegründet. Die zusammengeschmolzenen Schaaren seiner iberischen und liby­schen Veteranen, die unzuverlässigen Massen seiner gallischen Söldner reichten zu einem solchen Unternehmen um so weniger aus, als er kein Belagerungs­material mit sich führte. Seiue Hoffnung, in den keltischen Stämmen Nord- italien's nicht nur ein vorzügliches Material an Mannschaft, sondern in ihren Sitzen auch eine sichere Operationsbasts zu gewinnen, hatte sich nicht bewährt.