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eines Genrebildes hinausgeht. Es ist ebenfalls im „Salon" zu sehen, ebenfalls das Objekt eines ungemein lebhaften Interesses und von Garnier, einem Schüler Gerome's, gemalt. Es stellt eine sehr erregte Szene ans der Sitzung der französischen Nationalversammlung vom 16. Juni 1877 dar. Der Minister des Innern steht auf der Rednertribüne. Er Hut gerade, nach dem Protokoll des „Journal officiel," die Worte gesprochen: „Die Männer, die hente am » Ruder sind, gingen aus den Wahlen des Jahres 1871 hervor und bildeten diese Nationalversammlung, von der man sagen kann, daß sie die Stifterin des Friedens nnd die. Befreierin des Territorinms ist." Da erhob sich ein beispielloser Tumult. Mehrere Mitglieder der Linken, an ihrer Spitze Gambetta, sprangen auf, traten vor die Rednertribüne und riefen, indem sie mit den Händen auf Thiers wiesen: „Der da, der da ist der Befreier des Territoriums!" In diesem Augenblicke sprangen etwa dreihundert Mitglieder der Kammer vvn ihreu Sitzeu auf und grüßten Herrn Thiers, der wie ein roodsr äs vron-is in der Brandung dasaß und seine stechenden Blicke wie -snxitsr tonaris auf den vernichteten Minister heftete, mit begeisterten Zurnfen.
Mit ungewöhnlicher Verve, mit fesselnder, dramatischer Kraft hat der Maler diese Szene im Nebeneinander dargestellt, wie ich sie eben historisch geschildert habe. Im Vordergründe steht Gambetta, der geistige Erbe Thiers', das charaktervolle Profil, das man niemals vergißt, wenn man es einmal gesehen hat, dem Beschauer zugekehrt. Er weist mit der Linken auf den Befreier des Territoriums, dessen scharf ausgeprägte, gramerfüllte Züge dem Bonnat'schen Portrait nachgebildet sind. Trotz der Kleinheit der zahlreichen Figuren ist es dem Künstler gelungen, eine lange Reihe charakteristischer Portraits von den bekanntesten Deputirten zu schaffen.
Literatur.
Von Seemann's Kunsthistorisch en Bilderbogen ist vor Kurzem die 6. Sammlung (Bogen 121 bis 144) ausgegeben worden, die un Wesentlichen die Architektur der Reuaissauce umfaßt. Namentlich die deutsche Renaissance ist darin von der Frühzeit bis zum Barokko durch eine lange Reihe schöner und charakteristischer Beispiele vertreten. Wir köuneu die ungemein praktische, reichhaltige und dabei äußerst wohlfeile Sammlung von kunstgeschichtlichem Anschauungsmaterial, welche in diesen „Bilderbogen" geboten wird, nur immer wieder auf's neue angelegentlich empfehlen.
Verantwortlicher Redakteur: vr. HanS Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Heriig in Leipzig. — Druck von Hüthel Hcrrman« in Leipzig.