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Die Hungersnoth in China.
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Das Land auf tausend Li hin liegt brach, weil es mehr Todte als Lebende daranf giebt. Wie kann man diese Zustände ertragen? Wir, dessen Pflicht es ist, über die Millionen unsres Volkes mit väterlicher Sorgfalt zu wachen, fühlen es, daß der Verlust selbst eines unsrer Unterthanen die Folge unsrer Missethaten ist."

Während alle die reichen Handelshänser der Europäer in Shanghai, Tientsin, Amoy, Hongkong, Canton u. s. w. bereits große Summen aufgebracht haben, um die Noth zu lindern, bleiben die im Auslande wohnenden Chinesen nicht zurück. Ueberall in Australien, Kalifornien, in Hinterindien, auf den Sundainseln, wo die Söhne des himmlischen Reiches zn lausenden als Emi­granten wohnen und zn Wohlstand gelangt siud, haben sie Sammlungen ver­anstaltet und deren Ertrag für die Hungerleidenden in die Heimath geschickt. So sind denn, im Verein mit dem, was die Regierung bewilligt, Mittel vor­handen, um wenigstens in etwas die Noth zn lindern und ein Schiff nach dem andern mit Reis beladen langt in den Häfen von Tientsin und Shanghai an. Dort siud große Vorräthe aufgestapelt aber mit der Weiterbeförderung derselben ins Innere, an den Sitz der Hungersnoth, steht es sehr übel.

So hoch anch China knltivirt ist, mit seinen Verkehrsmitteln ist es schlecht beschaffen. Herrlich ist das Land durch großartige Ströme, wie Hoang-Ho und Jang-tse-kiang eröffnet, bis tief ins Innere gehen die europäischen Dampfer. In früherer Zeit war auch das Kcmalwesen weit entwickelter, jetzt aber ist der berühmte große Kaiserkanal, der den Norden und Süden verknüpft, verfallen. Mit Straßen sieht es in den bergigen Gegenden schlecht aus und gegen Eisen­bahnen sträubt sich die Regierung mit Hand und Fuß. Die einzige kurze Strecke, die bei Shanghai vor drei Jahren von den Engländern erbaut wurde, ist im verflossenen Jahre von der Regierung wieder zerstört worden, nachdem sie nur ganz kurze Zeit im Betrieb war. Die Regierung fürchtet nämlich mit der Ausdehnung eines Eisenbahnnetzes über das Land die Zunahme des euro­päischen Einflusses, da Bau und Verwaltung der Bahnen doch zunächst von europäischen Unternehmern ausgehen müßten. Dann kommt, als zweites wichtiges, gegen den Bahnbau sprechendes Moment ein religiöses Motiv in Betracht. Ein im hohen Grade dem Ahnenknltus ergebenes Volk wie das chinesische fürchtet die Verletzung des Bodens, in dem die Gebeine der Väter ruhen, beim Eisenbahnbau. Nach dem Fengschui genannten Aberglauben wähnen die Chinesen thatsächlich, daß die natürliche oder künstliche Konfiguration der sie umgebenden Gegenstände wirklich das Geschick einer ganzen Stadt, einer Familie oder eines Individuums beeinflußt. Aus diesem Grunde widersetzen sie sich von ihrem Standpunkte aus der Einführung solcher Neuerungen, wie Eisenbahn und Telegraphie, welche ihren Lieblingsaberglanben unvermeidlich