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die logische Durchbildung zu unterschätzen, obwohl die griechische hierin schwerlich zurücksteht, das aber wird kein Kundiger bestreikn, daß da, wo es auf die Einführung in den Geist des Alterthums durch die Lektüre ankommt, die griechische Literatur einen ganz unvergleichlichen Vorrang behauptet. Die gesammte römische Literatur beruht ja nicht nnr ans Nachahmung der griechischen uud hat sich in Folge davon in keineswegs naturgemäßer Weise entwickelt, indem sie alle Dichtungsgattungen so ziemlich gleichzeitig auszubilden begann, sondern sie gehört auch größtentheils einer Zeit an, in der das politische und soziale Leben der Römer längst den Höhepunkt überschritten hatte, eiuer Zeit tiefen Verfalls und sie trägt deshalb die Spuren des Krankheitszustandes ihrer Nation vielfach nur zu deutlich au sich. Wäre das römische Volk literarisch ebenso begabt gewesen, wie das griechische, so hätte sich seine Literatur unter den mächtigen Eindrücken des Heldenkampfes gegen die Punier entwickeln müssen, wie die griechische ihren Höhepunkt erreichte unter den Nachwirkungen der Perserkriege. Statt dessen gehören ihre Klassiker dein 1. Jahrhundert v. Ch. an, einer Zeit blutigen, erbitternden, entsittlichenden Parteikampfes und Bürgerkrieges, in dem alle politischen Tugenden der Römer sich aufzulösen begannen. Es scheint uns aber keineswegs gleichgültig, ob unsere Jugend eingeführt wird in die Verhältnisse einer verfallenden oder in die einer blühenden Zeit, ob der Schüler in den Autoren, die er liest, zugleich bedeutende und der Bewunderung würdige Menschen kennen lernt oder das Gegentheil,' es scheint uns vielmehr von höchstem Werthe, daß ihm eben das Alterthum aus seiner Sonnenhöhe, ganz besonders zur Anschauung gebracht werde, so wenig selbstverständlich ihm der Einblick in den Znsammeubruch der alten Ordnungen erspart werden kann und soll. Von diesem Gesichtspunkte ans ist gewiß die Lektüre des Herodot, des Thukydides und Xenophon, des Platon, Demostheues und Lysias, die alle auf dem Boden des klassischen Athen erwachsen sind, ethisch bildender als die der meisten verwandten römischen Historiker nnd Redner, die, so hervorragende Erscheinungen unter ihnen sind, doch einer sinkenden Zeit angehören. Und wie wenig von einer Gleichstellung der römischen Dichter mit den griechischen die Rede sein kann, wenn man etwa die Lyriker ausnimmt, weiß jeder, der beide kennt.
Wir wollen aus diesen Gründen nicht etwa eine Zurücksetzung des Lateinischen hinsichtlich der Stundenzahl im Verhältniß zum Griechischen, da für jenes die schriftliche Uebuug immerhin einen größeren Raum beanspruchen wird, sondern nur eine Gleichstellung beider in der Stundenzahl, dergestalt, daß der lateinische Unterricht, befreit von einem Theile der jetzt rein formalen Exercitien gewidmeten Stunden, auf ein geringeres Maß derselben beschränkt und der griechische um 1 oder 2 Stunden verstärkt wird, jeder für Ic>> nnd Ib etwa 7 Stunden, das Latein in Ha, 8, das Griechische 7 Stunden erhält.