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Die deutsche Literatur 1752-1756. II .
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uns offenbar voraus. Aber man war verstimmt über den Einfluß der fran­zösischen Schöngeister bei Hofe, uoch verstimmter über die Gewohnheit des Adels, die Kinder von früh auf französisch denken zu lehren, während sie das nothdürftige Deutsch, dessen sie im Verkehr mit dem gemeinen Mann be­durften, sich im Stall aneigneten. Gleichviel! es war einmal unerläßlich für das Fortkommen, des Französischen mächtig zu sein, und wohl oder übel mußte man sich dazu entschließen.

Grade damals ergriff Rousseau (43 I.) mit wunderbarer Gewalt das deutsche Publikum. 10. Juli 1755 zeigte Lessing seine neue Preisschrist an äisoonrs sur 1'oriAinö st Iss loMowsus ckö 1'in(MtItü M?iru, Issllowivss": er ist noch überall der kühne Weltweise, welcher keine Vornrtheile, wenn sie auch noch so allgemein gebilligt wären, ansieht, sondern graden Wegs auf die Wahrheit zugeht. Sein Herz hat an allen seinen spekulativen Betrachtungen Antheil, nnd er spricht folglich ans einem ganz anderen Ton als ein feiler Sophist."

Moses übersetzte das Buch, um sich im Ausdruck zu üben, nnd widmete es Lessing.Mein empfindliches Herz ist Ihnen bekannt. Sie haben oft be­merkt, wieviel Macht ein freundlicher Blick von Ihnen auf mein Gemüth ge­habt hat!"

In der Vorrede vergleicht er Rousseau, der den Menschen zum Natur- stand zurückführen will, mit einem Erwachsenen, dem seine Pflegemutter die Geschichte seiner Kindheit erzählt;er hört die Beschäftigung seines spielenden Alters, er hört sogar die losen Streiche, die er dem Bedienten gespielt, mit Vergnügen, und ist nicht abgeneigt, diesen Stand der Unschuld seinen männ­lichen Jahren vorzuziehn."

Für Lessing, Moses und Ramler, die immer enger zusammenhielten, fand sich nun ein neuer Bundesgenosse. Febr. 1755 erschienen dieBriefe über die schönen Wissenschaften in Deutschland", die viel Aufsehn machten und allgemein Lesstng zugeschrieben wurden. Der anonyme Versasser war sein leidenschaftttcher Verehrer Fr. Nieolai (22 I,), Sohn eines Berliner Buch­händlers. Mit gutem Gedächtniß und leichter Auffassung begabt, war er zu­erst in der Berliner Realschule, dann in Halle erzogen.

In Nicolai tritt zum erstenmal der echte Berliner auf den literarischen Kampfplatz. Ein rasches, zuversichtliches Urtheil, durch wenig Vorkenntuisse bedingt und begrenzt; der Grundsatz: bange machen gilt nicht! ein starker Dispntirer, der, mit einiger Vorbildung in der Wolfischen Schule, überall ausschließlich auf Deutlichkeit der Begriffe ausging; viel gesunder Mutterwitz; ein muntrer, leicht fließender Ton, nicht sehr wählerisch, an den Kritiken der Vossischen Zeitnng geschult; Talent für Parteiung: daneben aber, was ihn Grenzbvtm Il> 1373. 7