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Die deutsche Litteratur während des achtjährigen Friedens 1748-1756 : (Klopstock, Wieland, Lessing, Winkelmann, Kant.) I.
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war eine schlicht bürgerliche; er lebte als Kantor an der Thomasschule in Leipzig in sehr bescheidenen Verhältnissen; die Mittel, dnrch die er seine nnge- henre Welt in Erscheinung umsetzen sollte, waren kärglich bis zum Unglaub­lichen. Er galt als guter Organist und fleißiger Kompositenr:er schrieb" soll ein späterer Küster erzählt haben,wöchentlich eine Motette; freilich war es auch danach!" Nnr selten machte er eine kleine Reise. Er hatte neun Töchter uud elf Söhne, sämmtlich Musiker; sein sittliches Leben war das ein­fachste, das man sich vorstellen kann.

Beide hatten sich zum religiösen Oratorium gewandt. Bach'sMatthäns­passion" wurde zuerst 1729 aufgeführt, Händel'sMessias" 1741; später folgte Graun (34 I.) in Berlin mit demTod Jesu." Händel war von der Oper ausgegangen, Bach vom Kirchenlied. Er brauchte sich den Glauben aus künstlerischen Zwecken nicht erst anzueignen, er lebte fest in seiner Kirche, er theilte mit Luther die Glaubenswelt wie die Tonwelt. Aber er war dnrch seine Kunst, in der er ausschließlich lebte, in alle Höhen und Tiefen der Mystik eingedrungen; was kein Sterblicher aussprechen kann, athmete in den Fugen seines polyphonen Gesangs und durchdrang mit unwiderstehlicher Gewalt die Seele. Er verfügte über den Stab des Genius, der wirklich Wunder thut.

Dieser Wunderwelt der Töne blieb Klopstock bei seinem zweijährigen Aufenthalt in Leipzig nicht fern; er bekennt einmal ausdrücklich, Bach sei oft sein Vorbild bei Erfindung nener Maße gewesen. Er lernte später auch Händel kennen nnd verehrte ihn. Nachklänge finden sich genug in seinen späteren Oden.

O, es weiß der nicht, was es ist, sich verlieren in Wonne, wer die Re­ligion, begleitet von der geweihten Musik und von des Psalms heiligem Flug, nicht gefühlt hat, sanft nicht gebebt, wenn die Schciaren in dem Tempel feiernd sangen! und, ward dies Meer still, Chöre vom Himmel herab! Täusche mich lang, seliger Traum! Ach ich höre Christengesang!... Mit des Herzens Einfalt vereint sich die Einfalt des Gesangs, und mehr Hoheit als alle Welt hat, hebt sie gen Himmel empor. Wonnegefühl hebt sie empor, nnd es fließen Thränen ins Lied ... Oben beginnt jetzo der Psalm, den die Chöre singen, Musik, als ob kunstlos aus der Seele schnell sie ströme... Kraftvoll und tief dringt sie ins Herz! sie verachtet alles, was uns bis zur Thräne nicht er­hebt, was nicht füllet den Geist mit Schauer oder mit himmlischem Ernst. Himmlischer Ernst tönet herab mit des Festes hohem Gesang. Prophezeiung und Erfüllung wechseln Chöre mit Chören. Gnade singen sie dann und Gericht."

Was ist das anders, als eine geistvolle Beschreibung der polyphonen Kunst­werke von Sebastian Bach!