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Direktive zu folgen, welche' von Berlin gegeben wird: nur muß dabei immer ein gewisser Schein der Selbständigkeit gewahrt, nöthigenfnlls auch ein im Erfolg höchst unschnldiger Widerstand affektirt werden; das Ministerium muß nach oben wie nach unten Rechnung tragen. Auf der einen Seite muß es nämlich darauf bedacht seiu, jenen äußeren Nimbus möglichst zu wahren, dessen das Königthum unter so beschränkten Verhältnissen, wie die gegebenen, ganz besonders bedarf, um so mehr als man hier, soweit es sich um die Sache handelt, nicht allzu eifersüchtig auf das Reich ist, so lange das letztere ein behagliches Stillleben ermöglicht, wie es weder der deutsche Bund noch die Großmachtpolitik der Jahre 1866—70 zn gewähren vermochte. Nach unten dagegen beruht die Allmacht des Ministeriums neben den bereits angeführten kolossalen Mitteln der Beeinflussung ganz wesentlich auf der Bearbeitung der Massen, auf der Beherrschung des allgemeinen Stimmrechts. Anstatt die große Masse des Volks, welche bezüglich aller außerschwäbischen Verhältnisse sich in einer ganz unglaublichen Unkenntniß befindet — die Sozialdemokratie hat in dieser Beziehung in Folge ihrer Universalität einen großen Vorsprung — über die Zustände im Reich aufzuklären, schmeichelt man um die Wette mit Demokraten und Ultramontanen den vorhandenen Vorurtheilen religiöser, ökonomischer und politischer Natur. Denn das Ziel alles Strebens geht immer dahin, daß das Volk alles Gute, als von dem württembergischen Staate kommend, alles Schlimme, namentlich alle Lasten als vom Reiche verschuldet betrachte, welches eben deshalb um keinen Preis Eisenbahnen, Post oder Telegraphen erwerben darf, damit es durch solche Institute nicht mit dem Staate als alleinigem Wohlthäter in Konkurrenz treten kann. Man liebt es daher, sich im Bundesrath als das pflichttreue Organ der Wünsche des schwäbischen Volks zn geriren, selbst wenn es sich um absurde Vorurtheile, um gar nicht aufrecht zu erhaltende, oder gar auf das deutsche Reich zu übertragende Sonderverhältnisse handelt und man auch vorher nicht den geringsteu Versuch gemacht hat, das Volk aufzuklären, man weiß ja zuvor, daß man in Berlin in der Minderheit bleibt, und kann dann immer später der am Bestehenden festhaltenden Masse gegenüber die unpopuläre Maßregel als vom Reiche aufgedrungen, sich selbst aber als den guten Genius Schwabens darstellen. —
Die oben geschilderte politische Allmacht der Regierung hat aber neuerdings auch nach innen zu sehr wichtigen Aenderungen geführt. Wir sprachen bisher immer von dem Ministerium, von der Regierung, wir könnten statt dessen ebenso gut von dem Chefminister reden. Gewiß lag es mit dem Eintritt Württembergs in das Reich, vollends nach der neuesten Organisation unseres Armeekorps, sehr nahe, den überflüssigen und kostspieligen Apparat von sechs Ministerien zu beseitigen und an deren Stelle einen einzigen Minister