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Jahresbericht aus Schwaben.
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Kammer mit allen gegen eine Stimme den Freytag'schen Antrag ablehnte, er­innerte sich, wie es scheint, Niemand, daß es allerdings einen Staat in Deutschland giebt, der das Freytag'sche Ideal ins Leben eingeführt, und nicht nur für die Landtagswahlen, sondern auch für die Wahlen der Gemeindever­treter, ja sogar der ersten Ortsvorsteher (Schultheißen, Oberbürgermeister :c.) das allgemeine geheime Stimmrecht konsequent durchgeführt hat. Schon zu den Zeiten des deutschen Bundes war es Regierungsprinzip in Württemberg ge­wesen, in bewußtem Gegensatz zu der Politik der Großmächte, der Demokratie Vorschub zu leisten. War diese zur Zeit der Machtfülle des deutschen Bundes allerdings auf enge Grenzen beschränkt, so wurde die Sache ungleich gefähr­licher, als mit dem Hinsiechen des Bundes die Mittelstaaten mehr und mehr ans sich gestellt waren, und sie gegenüber den Einheitsbestrebungen der Nation durch Zugeständnisse an die föderative Demokratie einen Rückhalt zu gewinnen suchten. Dieser Periode verdankt in Württemberg das allgemeine Stimmrecht seine Anerkennung. In der Hand Bismarcks ein kühner politischer Wnrf, und für Wahlkreise von ca. 100,000 Seelen bei nicht zu kurzen Wahl­perioden von verhältnißmäßig geringerer Gefahr, mußte dasselbe in die engsten Kreise des Staats und der Gemeinde eingeführt, mehr und mehr den ganzen Staatskörper durchsetzen. Wo nicht mehr politische Grundsätze maßgebend sind, sondern die Kandidaten, in den niedersten Jnteressenkreisen befangen, nur darauf ausgehen, die Wähler an ihrer schwächsten Seite, dem rohen Egoismus und an hergebrachten thörichten Vorurtheilen zu fassen, da ist demjenigen der Sieg sicher, der das weiteste Gewissen hat und womöglich gar keine Grundsätze vertritt. Die großen politischen Parteien von der Sozialdemokatie abgesehen können für die Dauer auf diesem Boden in ehrlichem Kampfe nicht kon- kurriren. Denn sie alle haben gewisse ideale Ziele, welche gerade nach Außen die Basis des Parteiprogramms bilden, welche sie aber in Württemberg konq sequent verläugnen müssen, um dagegen mit den Schwächen der Wähler zu rechnen, welche allein über den Erfolg entscheiden. So sehen wir täglich, wie der Mann derdeutschen Partei", alle Schattirungen von der äußersten Rechten bis zum Fortschritt zu repräsentiren bereit, unter dem Programmhie gut Württemberg alle Wege" vor die Wähler tritt, während daneben der Frei­denker ans der Strauß'schen Schule mit der heuchlerischen Miene des Pietisten den Wählern verspricht, für die unbedingte Herrschaft der Kirche über die Schule zu wirken, der Demokrat Kasernen in Aussicht stellt natürlich nur um am nächsten Orte nach Bedarf das Gegentheil zn predigen. Und dann

*) Das Wahlgesetz für den Landtag stimmt im Wesentlichen mit dem Reichstagswahl­gesetz überein, während für die Gemeindewahlen jede direkte Steuer und wäre es auch nur ein Pfennig, das Wahlrecht begründet und daneben nur für Auswärtige dreijähriger Auf­enthalt in der Geineinde verlangt wird.