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Erinnerungen an das zweite Kaiserreich.
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Levysohn wieder auf Französischen Boden; im Oktober tauchte er in Versailles auf, wo er unter dem Schwiegersohn Roon's, dem deutschen Präfekten v. Brciuchitsch den famosenMoniteur officiel" herausgab, den jeder brave Versailler laut verfluchte, aber dafür um so eifriger heimlich las, und selbst an den Straßen­ecken von Versailles, an welche jede Nummer des in französischer Sprache erscheinenden Mvuiteurs der deutschen Präfektur plakatweise, Vorder- und Rückseite nebeneinander, geklebt wnrde. So ward dem Publiknm ein zwang­loses Gratisabonnement auf das von Levysohn redigirte Blatt eröffnet. Ich stand auch eine Zeitlang in diesem billigen nnd latenten Abonnementsverhält­niß zum Organe Levysohn-Branchitsch's und kann versichern, daß die An­strengungen des Redakteurs, die Franzosen ans eine fabelhafte Kriegsentschädigung vorzubereiten ebenso drastisch uud nachhaltig waren, wie diejenigen, im Moniteur offieiel ein von Germanismen freies, beinahe akademisches Französisch zu liesern. Aber in beiden Beziehungen ist das Ziel nie vollständig erreicht worden. Ja, die Herrlichkeit des Moniteur offieiel in Versailles war, aus hier gleichgültigen Gründen, überhaupt eine sehr vorübergehende. Dr. Levysohn mußte seinen Wauderstab weiter setzen. Seine Rückkehr nach Paris war nach seinem offiziellen Preßdebüt in Versailles, bei der damaligen Stimmung der Franzosen, auch nach dem Frieden undenkbar. So sandte ihn die Kölnische Zeitung nach Wien. Hier hat ihn vor etwa einem Jahre aus noch heute nicht völlig aufgeklärten Grüudeu plötzlich uud rücksichtslos ein Ausweisungs­befehl betroffen. Seit dieser Zeit hält er sich in Berlin ans. An Bewegtheit läßt dieses Journalistenleben, wenigstens iu den letzten sieben Jahren gewiß nichts zn wünschen übrig.

Aus den ruhigsten Tagen seines Daseins nnn,in welchen der Gedanke an Revanche noch nicht den freundschaftlichen Verkehr mit dem Nachbar jenseits der Vvgesen über Gebühr erschwerte" und Levysohn die beste Gelegenheit zu genauer nnd treuer Beobachtung der Pariser Vorgänge und Persönlichkeiten besaß, hat Levysohu einige seiner Aufzeichnungen und bereits früher gedruckten Berichte gesammelt und in einem mäßigen Bande soeben herausgegeben.*) Auch diese Arbeiten sind meist nur wie Skizzen behandelt. Selbst in den ernstestem oder gründlichsten von ihnen herrscht der feuilletonistische Plauderton vor. Aber jede dieser scheinbar flüchtigen Skizzen verräth das sorgfältigste Studium der Natur; die meisten von ihnen bieten Enthüllungen über die Geheimnisse des zweiten Kaiserreichs, die noch heute, nachdem es sieben Jahre zu Grabe getragen, der Mehrzahl der Leser neu sein werden, und keineswegs

Aus einer Kaiserzeit. Französische Erinnerungen eines Journalisten. Bon Arthur Levysohn. Grnnberg i. Schl, Verlag von W. Levysohn.