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des Hüfigletschers, des westlichsten Ausläufers der Eiswüste des Tvdigebietes, komuit hier erst zur vollen Geltung. Uns gerade gegenüber im Süden ragen die schneereichen, prachtig gegliederten Firnen des Oberalpstocks, ragt die ganze südliche Alpenwand bis zum Bristvnstock. Im Westen thut sich die starre Eiswelt der Engelberger Alpen durchsichtig auf. Vvm Spanvrtgletscher und Grasten bis zum Wendeuhorn reiht sich Schnee und Eis aneinander. Im Norden die Wiudgüllen, Rucheu uud Tschiugelstvck näher nnd prächtiger als je. Und wieder im Süden diesseits des tiefen Einschnittes des Madranerthals, eine gute Stunde uuter uns in jäher Tiefe der blane Bergsee der Golzerualp, von Tannen umstanden, scheinbar schon im Thal und doch noch fast anderthalb Stuudeu über der Thcilsvhle gelegen, iu welcher der Kärstelenbach dahiurauscht. Ein aufkommender Föhn hindert uns, noch eine Stunde höher, zur Schafalp Rück uud deu schönen Alpweiden von Oberkasern emporzusteigen, um dort auch den Ausblick über den Titlis und die Berner Alpen zu gewinnen.
Es muß hinabgestiegen sein, Amsteg zu. Aber der großartige Umblick auf die Bergrieseu bringt dem Deutschen vor allem auch die großartige Bedeutung dieses Tages zum Bewußtsein: es ist der siebente Jahrestag von Mars-la-Tours. Er bringt den Todten des heißesten und glorreichsten Tages des ganzen Krieges sein Glas dar. „Wenn Sie zu Ende sind", bemerkt der genaue Kenner der Vortheile des Enzian — es existirt nur ein Glas in der Runde —, „so werde ich dann der gefallenen Franzosen gedenken." „Nein, auch ihrer gedenke ich mit", erwiedert der Deutsche, „wir ersparen dadurch erheblich an Zeit uud Worten und vielleicht auch etwas an Meinungsverschiedenheit." Besseres als säuerlichen Gallauer hatten wir den todten Streitern nicht zu bieten, aber wir dachten ihrer so audächtig, als ihrer je bei edleren Tropfen gedacht worden ist.
Der Rest des Weinvorrathes wurde unten am Golzernsee vertilgt, nach steilem Abstieg, der schwersten Partie des ganzen Weges, weit mühsamer als der im Bädeker als besonders schroff geschilderte Pfad der Berglehne von der Gvlzeralp abwärts nach dein Thal. Denn hier wird der Weg alljährlich besser. Ueber dem Golzernsee stößt man auf eine Bergwiese von märchenhafter Pracht und Frische der Vegetation. Unzählige Apollo's naschen den Honig der Blüthen, ohne die Gefahr von Menschenhand zn ahnen. Einen grvßeu Falter ergriff ich mit der Hand an den Flügeln. Reiche Sennhütten, schon eher zu Dorsschafteu gmppirt, treten an den nun schon erkennbaren Weg heran. Ein Alpenfräulein liebkost ein reizendes Ferkel auf ihrem Schovß. Der Vater schaut spöttisch aus dein Fenster, als wir uns. die Feldflaschen an dem ersten laufenden Brunuen füllen, den wir wieder treffen. „Wir lassen dann uoch beim Kaplcm von Bristen eine Messe für uns lesen!" rufe ich ihm