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wärtige beschränkt sich auf die Darstellung der rein politischen Verhältnisse. Die parlamentarischen Parteien wie die politischen Gegensätze in der großen Masse des Volles sind scharf nnd deutlich geschildert. Die Aufstände und Straßenkämpfe entrollen sich, obwohl jede Effekthascherei durchaus vermieden ist, in lebensvollen, fesselnden Bildern vor unsern Augen. Die Glcmzpnnkte des ganzen Werkes aber bilden unbestreitbar die Charakterzeichnungen. Der Verfasser selbst legt in der Vorrede Nachdruck darauf, daß er die Entstehung und Entwickelung der Ereignisse „nicht nur in den Verhältnissen nnd der Vorgeschichte, sondern auch in der Natur der Menschen sucht, welche in bedeutender Weise dabei thätig gewesen." Und in der That sind seine Schilderungen der hervorragenden Personen Meisterwerke politischen Urtheils und psychologischen Scharfblicks. In erster Linie stehen hier, außer Louis Philipp selbst, die drei bedeutendeu Staatsmänner des Julikönigthnms: Perier, Guizot, Thiers. Wer die vergaugeuen Dinge vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Gegenwart betrachtet, für deu wird des Letztereu Bild die größte Anziehungskraft haben. Der ruhige Geschichtsbevbachter Nur mit Vorliebe bei Perier verweilen, dieser eigenartigen, in sich abgeschlossenen Erscheinung, die, obgleich am Himmel des Julikönigthums fast mit der Flüchtigkeit des Meteors vorübergezogen, dennoch ihm und Frankreich werthvollere Dienste geleistet hat, als alle Größen der nächstfolgenden zwei Jahrzehnte. Das edelste Denkmal, welches Paris auf der weithin scheinenden Höhe der gewaltigen Todtenstadt des Pere 4 Lachaise besitzt, gilt Casimir Perier. Fast bedentsamer noch als diese Dankes- bezeugnng des Vaterlandes will uns aber das Monnment bedrucken, welches der unbetheiligte, kühl uud gerecht urtheilende Geschichtschreiber dem fremden Staatsmanne gesetzt hat. Nachdem er sein frühzeitiges Eude — er starb an der Cholera am 16. Mai 1832 — berichtet, faßt er Perier's Wirken in folgenden Sätzen zusammen: „Mit ihm verschwand der einzige Staatsmann des Julikönigthums, der trotz vieler und augenfälliger Charakterfehler, Geisteslücken und thatsächlicher Mißgriffe diejenigen Eigenschaften in sich vereinigte, welche das französische Volk von seinen Leitern fordert, auch die, welche überall uud immer die znm Herrschen nothwendigsten sind. Casimir Perier imponirte durch feine gesellschaftliche Stellung wie durch seine Persönlichkeit gleicher Weise. Er hatte einen kalten, praktischen Verstand und war mehr als ein Feind politischer Theorien: er verstand sie nicht. Aller Pedantismus war ihm fremd. Selber fleckenlos, als Mensch wie als Geschäftsmann, stand er nicht an, sich auch solcher Werkzeuge zu bedienen, welche er nicht achten konnte; und da seiner Feldherreunatur der Sieg vor Allem ging, verschmähte er auch nicht Verbündete, die in anderen Lagen seine Gegner sein konnten. Mit echt französischer Streitlust und echt französischer Leidenschaft vereinigte er die klarste Ein-