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rede zeigen sich davon die ersten deutlichen Spnren, indem er hier in erklärlicher, aber nicht politischer Weise die kurz vorher mit den Preßordonnanzen heimgesuchte periodische Literatur, mit besserem Grunde die Feste, mit denen die Fortschrittspartei in überschwünglicher Begeisterung die Thaten der Opposition im vertagten Landtage gefeiert, und mit vollem Rechte deu frankfurter Abgeordnetentag verspottete, welcher zu dem österreichischen Bnndesreformpro- jekte von 1863 keine unbedingt ablehnende Haltung eingenommen hatte. „Die Fortschrittler liebäugeln, mit den Fürsten," so rief er ans, „um Herrn v. Bismarck bange zu machen, sie hoffen ihn einzuschüchtern durch Kokettiren mit den deutschen Füsten. Das sind die Mittel dieser Aermsten! Und wenn nur Flintenschüsse mit Herrn v. Bismarck wechselten, so würde die Gerechtigkeit erfordern, noch während der Salven einzugestehen: er ist ein Mann, jene aber sind alte Weiber. Und noch niemals haben alte Weiber einen Mann eingeschüchtert, auch nicht, wenn sie nach andern Seiten hin liebäugelten."
Die Gegner spürten in solchen und ähnlichen Aeußerungen ein heimliches Einvernehmen mit der konservativen Partei und der Regierung und fanden für diese Entdeckung Glänbige in Menge. Heutzutage lacht man über diese Spürkraft und diesen Glauben; denn die einfache Thatsache, daß die Staatsanwaltschaften von der Spree bis an den Rhein den Agitator mit schweren Kriminalprozessen fast erdrückten, läßt solche Einbildungen allein schon ungemein absurd erscheinen. Die veränderte Taktik Lassalle's aber erklärt sich aus der thatsächlichen Lage im Herbst 1863. Mit wie viel oder wie wenig Erfolg er sich den verdrießlichen Umstand, daß seine Agitation in dem Sinne, in welchem er sie geplant hatte, schon nach fünf Monaten gescheitert war, hinwegzudenken versuchen mochte, in Stunden ernster Ueberlegnng konnte er darüber nicht im Zweifel sein. Und daß ein Führer von tausend oder besten Falls einigen Tausend Arbeitern keinen Faktor im öffentlichen Leben darstellen konnte, der als Verbündeter zu schätzen oder als Gegner zu fürchten war, wußte ein Mann von seinem eminentm Verstände natürlich noch weit genauer. Statt dieser festgeschlagenen Hoffnungen winkte ihm jetzt aus naher Zukunft die Verwirklichung älterer Träume. Es leidet keinen Zweifel, daß Lasfalle die Anfänge des Ministeriums Bismarck mit besseren Angen beobachtet hat als die große Mehrzahl der zeitgenössischen Politiker, die Führer des Nationalvereins uicht ausgenommen. Nachdem die preußische Regierung die föderalistische Intrigue des frankfurter Fürstentags znm Scheitern gebracht hatte, sah er mit einem weiten und von Parteileidenschaft und Parteidoktrin nicht verschleierten Blicke, dessen sich auch die Weisesten der Fortschrittspartei nicht rühmen konnten, voraus, was sich 1866 vollzog. Der bevorstehende Nationalkrieg zur Einigung Deutschlands ohne Oesterreich wurde von nnn an das A und O seiner Agita-