die Kleider an die Knöchel fest anzuziehen weiß?" In stolzer Weise spricht sie ihre Verachtung des geistlosen Reichen und des niedrig gesinnten Aristokraten, in inniger und zarter ihre warme Theilnahme für Familienleben nnd Freundschaft ans. Sie war eine Frau, die, durch äußere Verhältnisse auf einen freien Platz, durch geistige Vorzüge weit über ihre Zeitgenossinnen gestellt, diese Stellung in unbefangenster Weise im Leben wie in der Poesie verwerthete und dadurch zu einem Anziehungspunkt für geistreiche Männer wie besonders für die empfänglichen Geister des eigenen Geschlechts wurde und den Letzteren sicherlich keinen Nachtheil gebracht hat.
Wir müssen annehmen, daß in der Umgebung und der Zeit der Sappho noch eine ziemliche Anzahl anderer äolischer Frauen der besonders auf Lesbos blühenden Neigung zu einem von Poesie und geistiger Thätigkeit gewürzten geselligen Leben gehuldigt habe. Aus dem sapphischen Kreise kennen wir die Namen Atthis, Mnasidika, Gyrinna, Damophila, Enneika aus Salamis, Gongya aus Kolophon und Anaktoria aus Milet, die wir uns in einem ähnlichen Verhältniß zu der Meisterin denken müssen wie die Schüler der Philosophen zu ihren Lehrern. Als Nebenbuhlerinnen der Sappho in der Dichtkunst werden genannt Gorgo und Andromeda; die bedeutendste der gleichzeitigen Dichterinnen aber war ihre Freundin, die liebliche Erinna, die im neunzehnten Lebensjahre starb, nachdem sie u. a. ein Gedicht „die Spindel" gemacht hatte, welches einige der Alten dem Homer an die Seite stellten.
Eine Dichterin dorischen Stammes aus derselben alten Zeit war die Spartanerin Megalostrata, die Alkman mit den rühmenden Worten erwähnt: „Diese Gabe der süßen Musen hat uns die glückselige der Jungfrauen, die blonde Megalostrata, gewiesen." Auch in späterer Zeit begegnen wir unter den dorischen Frauen noch einigen Dichterinnen, die aber auch als solche dem dorischen Charakter nicht untreu werden. Telesilla von Argos, aus vornehmem Geschlechte, war bei den Alten noch mehr wegen ihrer männlichen Entschlossenheit und persönlichen Tapferkeit als durch ihre patriotischen Lieder berühmt. Bei einem Angriff der Spartaner auf Argos soll sie an der Spitze der bewaffneten, durch ihre Gesänge angefeuerten Frauen die Vaterstadt gerettet, ja sogar im offenen Kampf beide feindliche Könige überwunden haben. Es wurde ihr dafür ein Reliefbildniß vor dem Aphroditetempel errichtet, auf dem sie dargestellt war im Begriffe sich den Helm auf das Haupt zu setzen und die Gesänge anstimmend, deren Blätteraufzeichnungen zu ihren Füßen lagen. Fünfzig Jahre später, um 450, dichtete die Sicyonierin Praxilla, deren Lebensverhältnisse uns sonst unbekannt sind. Berühmt waren ihre Skolien, d. h. improvisirte Tisch- und Trinklieder in heiterem Ton und leichter Sprache, nächstdem einige Hymnen und Dithyramben.