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Aphrodite sind doch nur die von verklärten Griechinnen. Eine schöne Seele im schönen Körper, war das Ideal der Griechen. Auf beides gleichmäßig war daher die Erziehung und das Augenmerk des Staates von frühester Jugend auf gerichtet. Schöne, kräftige, an Leib und Seele gesunde Bürger brauchte der Staat. Dazu war es nöthig, daß die Mütter der künftigen Bürger diese Eigenschaften hatten, und so erklärt es sich auf die einfachste Weise, daß der Staat auch die weibliche Erziehung, und zwar in Sparta, wo man mehr als anderswo aus körperliche Tüchtigkeit sah, das ganze Privatleben anch des weiblichen Geschlechts unter seine sorgsame Aussicht stellte.
Wir finden daher, daß in Sparta, Kreta und vermuthlich auch iu andern dorischen Staaten eine Erziehung für die Mädchen angeordnet war, welche nach unfern und felbst nach der übrigen Griechen Begriffen ziemlich „nnweib- lich", für ihren Zweck aber unstreitig geeignet und erfolgreich war.
Schon die Verheirathung war eine Sache, welche das Staatsinteresfe zu nahe berührte, um der Willkür der Einzelnen überlassen zu bleiben. Der Staat nahm also das Recht in Anspruch, die Eheschließungen zu beaufsichtigen. Daß zur Zeit der Tyrannenherrschaften und in fürstlichen Häusern die Töchter nicht nach Neigung, sondern nach politischen Gründen heiratheten oder ver- heirathet wurden, wundert uns nicht, wie denn gleich unter den ersten bedeutenden Ereignissen der historischen Zeit ein Vermählungsfest erscheint, welches Herodot uns mit so glänzenden Farben schildert. Bei dem großen Nationalfeste der olympischen Spiele läßt der Herrscher von Sicyon, Kleisthenes, bekannt machen, daß, wer unter den Hellenen sich für würdig erachte, der Gemahl seiner schönen Tochter Agariste zu werden, auf den sechzigsten Tag in seine Königsburg kommen solle. Aus allen Theilen Griechenlands erscheinen die vornehmsten und edelsten Männer, und nachdem ein Jahr hindurch eine Reihe von Festen und Spielen gefeiert worden und die Freier sich mit einander gemessen haben, zieht der Athener Megakles als der Auserwählte heim.
In Sparta war für die Mädchen eine musische und gymnastische Erziehung angeordnet, die der der Knaben ganz entsprach. In Rotten, Schaaren, Altersklassen eingetheilt, zogen sie nnter Aufsicht älterer des Morgens auf die Uebungsplätze hinaus, um sich im Laufen und Springen, im Ringen, Diskns- und Speerwerfen zu üben. Ihre Kleidung war dabei eine sehr leichte, den übrigen Griechen anstößig erscheinende. Natürlich waren die Uebungsplätze von denen der Knaben gesondert, und der Zutritt wird nicht Jedem freigestanden haben; aber doch war man unbefangen genug, um bei gewissen Gelegenheiten die Mädchen den gymnastischen Uebungen und Wettkämpfen der Knaben zuschauen zu lassen, obwohl die Letzteren dabei ganz unbekleidet zu sein pflegten. Daß diese Sitte irgendwie nachtheilige Folgen gehabt hätte, wird durch uichts