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Die sogenannte Volksethymologie.
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nähme in die Schrift und in die Sprache der Gebildeten. Der volksetymo­logische Trieb stirbt ja aber niemals in der Sprache ab, er treibt heute noch eben so lustig seine Schößlinge, wie vor vierhundert oder vor sechshundert Jahren; aber das ist der Unterschied, daß diese heute sofort als Wildlinge er­kannt und sich selbst überlassen werden. Andresen nennt sie die vulgären Volksetymologieen. Hierher gehört es z. B., weun der gemeine Mann das Trottoir zu einem Tretoir macht, weil er es vom treten ableitet, wenn er renoviren zu reenefihren umbildetZ, was ihm vertraulich anreene- machen" anklingt, wenn er egal nicht mit aeyualis, sondern mit dem Zah^ worteins" zusammenbringt und nun vornehmer Weise dafür einjal sagt, wenn er sich radikal zu rattekahl, famos zu vermoost, seine Cigarre zum Ziehjarn, seine Xanthippe zu einer Zanktippe umdeutet. Auch die Charlotten wurst gehört höchstens in die Schriftsprache der Speisewirthe und der Köchinnen; im übrigen weiß man, daß der Lauch französisch öenslow heißt, also deutsch höchstens Schalotte heißen könnte. Wenn die Maurer Kapptheil sagen für Kapital, Frontspieß für FrontisPiz, so bleibt auch dies auf die Umgangssprache ihrer Kreise beschränkt. Wenn zwei zu Tisch mit einander sitzen und eine Mandel mit doppeltem Kern finden, so find sie sich in der Aussprache oft nicht klar darüber, ob sie ein Vielliebchen oder ein Philippchen mit einander essen sollen; sollten sie aber das Wort niederschreiben, so würden sie wohl bald ins klare kommen.

Zahlreiche Blasen solcher vulgären Volksetymologie trieb 1870 die Aus­sprache der französischen Namen in deutschem Munde es möge nur an den großen Siegbei Lehmcmns" (Le Maus), den ein Packträger in Berlin aus­rief, und an den Gasthofzur blanken Schwalbe" in der Nähe von Straß" bnrg erinnert sein, den sich die deutschen Soldaten aus eneval Klane umgetauft hatten. Mit Vorliebe verfallen auch die Namen der Arzneimittel dieser volks- thümlichen Deutung. Das verkehrte Kolä-erSme statt des richtigen <üolä-er6me ist überall im Volke eingebürgert; allbekannt ist aus früherer Zeit die tolle, aber keineswegs unwahrscheinliche Verdrehung des unguentum NeapoUtÄinun, der neapolitanischen Salbe, innmgewendten Napoleon". Einen wahren Rattenkönig von Volksetymologieen, der schließlich durch eine prächtige vulgäre gekrönt wird, vereinigt sich auf dem pharmaeeutischen Namen des Süßholzes; aus dem griechischen glM^rrujüg. hat das Lateinische mit Anklang an!ia.uor sich lilMritig. gemacht, daraus das Französische r^lisse und das Deutsche Lack ritzen, beide wieder mit neuen Anlehnungen; der Volksmund in Sachsen aber setzt allem die Krone ans und verwandelt sich das Lackritzen nochmals in - Lukrezel, also ein Diminutiv von Lucretia! Die Anekdote von dem Bauer, der im Museum die medicinische Venus anstatt der mediceischen gesehen