Beitrag 
Die Schlange in der Volksphantasie.
Seite
282
Einzelbild herunterladen
 

282

In den Mythologien des Morgenlandes tritt uns die Schlange vor- wiegend als Gestalt des Bösen entgegen. So in der persischen Zend-Neligion, wo Ahriman sich in ihr verkörpert, so in der biblischen Erzählung vom Sündenfalle, und so in der Apokalypse, wogegen sie bei den alten Aegyptern das Symbol des Gottes Kneph, des Spenders der segensreichen Nilfluth und des rinnenden Wassers im Allgemeinen, war und bei der christlichen Secte der Ophiten als doppelsinniges Wesen sowohl verehrt als gefürchtet wurde.

Bei den Griechen erscheint die Schlange fast durchgehends als heiliges und heilbringendes Thier, und ähnlich wird sie von deren Verwandten in Italien angesehen. Sie dient als Symbol von Quellbächen und Flüssen. Sie ist ein Attribut des Heilgottes Asklepios. Sie findet sich in der jüngeren For-n des Hermesstabes. Sie wurde bei der orgiastischen Dionysosfeier um die Arme und in die Haare geflochten. Mystische Beziehungen wurden durch als in die Erde verschwindendes und aus ihr wieder emporkommendes und als immer sich verjüngendes, auf die Wiederbelebung und Unsterblichkeit der Menschen hindeutendes Thier versinnbildet. Nach Hesiod zog sich Kychreus, der mythische Held von Salamis, eine Schlange auf, die später, von der Insel vertrieben, von der Demeter aufgenommen wurde und fortan zu deren Dienerinnen gehörte. Gewöhnlich bilden Schlangen den Vorspann am Wage« des Triptolemos. Thebanische Sagen erzählten, daß Kadmos, in eine Schlange verwandelt, zu den Encheleern in Jllyrien ausgewandert sei. Kekrops und Erichthonios, die erdgebornen Urmenschen Attikas, waren nach alter UM' lieferung ganz oder zur untern Hälfte Schlangen gewesen. Athene gab dein letzteren, als sie ihn den Töchtern des Agraulos zur Erziehung überbrachte- ein Schlangenpaarals Lebenshüter" mit, eine Sage, der noch zu den Zeiten des Euripides der Gebrauch athenischer Mütter entsprach, ihren Neugebornen kleine goldne Schlangen als Amulete anzuhängen. Häufig diente zu sin"' bildlicher Vergegenwärtigung des Schutzgeistes eines Menschen oder einer Familie das Zeichen der Schlange. Nicht selten werden von der griechische" Sage Schlangen in Beziehung zu mythischen Propheten gebracht. Der Seher Jarnos wird als Kind auf einer Veilchenflur von zwei Schlangen ernähr^ Der Argiver Polyidos, der den in einem Honigsasse ertrunkenen Sohn des Königs Minos vermöge seiner Sehergabe wiedergefunden hat, soll denselben wiederbeleben und wird, als er sich dessen weigert, mit dem Todten in dieselbe Gruft verschlossen. Hier tödtet er eine Schlange, die an das Kind herankriecht- Darauf kommt eine zweite Schlange mit einem Kraute, durch welches sie ^e erschlagene wieder lebendig macht, und Polyidos bedient sich dann desselben Mittels, um den Knaben tn's Leben zurückzurufen. Melampus verdankt se'^ Prophetengabe Schlangen, die er vom Tode gerettet hat, und die ihm dafür die Ohren ausgeleckt haben, so daß er die Sprache der Vögel versteht, eine