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achtung sprachgeschichtlicher Thatsachen im Zusammenhange. Und ich habe keineswegs bloß den deutschen Unterricht im Auge, wenn ich befürworte, daß derartige Beobachtungen auch in einem großen Commentar zum „Laokoon" Aufnahme finden möchten. Gerade auch für propädeutische Vorträge an der Universität, als welche ich die über den Laokoon auffasse, ist der stete Hinweis darauf, wie die Sprache in unaufhörlichem Fluß und Wandel ist, wie heute schon antiquirt ist, was vor Kurzem noch modern war, von Wichtigkeit. Ganz ohne solche sprachgeschichtliche Winke ist auch der Blümner'sche Commentar nicht; Blümner läßt solche Ausdrücke, nach denen Lessing sucht und ringt, wie „conventionell", „typisch", S. 108 und 116 wie unabsichtlich in seine Erläuterungen der betreffenden Stellen einstießen. Aber der wievielte Leser merkt diese Winke heraus? Ich meine, es könnte dies etwas ausdrücklicher geschehen. Aber auch die stilistische Seite der Lessing'schen Prosa ist nicht selten, und selbst für gebildete Leser, solcher erklärenden Winke bedürftig, denn trotz ihrer durchsichtigen Klarheit im Allgemeinen ist seine Sprache bisweilen von einer Prägnanz, die an das Gegentheil, an Dunkelheit, streift; ich denke an solche Beispiele, wie S. 13, wo Lessing kurzweg schreibt: „der Ausdruck einer solchen Seele" anstatt „die Absicht, eine solche Seele auszudrücken" oder S. 39, wo er sagt: „der einzige Augenblick" anstatt „der Umstand, daß es nur ein einziger Augenblick ist", und ähnliches.*)
Doch genug der Einzelheiten. Ich bin überzeugt, daß der Herausgeber meine Bemerkungen nicht für „Krokylegmus" halten, sondern daraus entnehmen wird, mit welchem Antheil ich sein Buch durchgesehen habe. Hoffentlich erhalten wir nun auch bald eine correcte Textausgabe des „Laokoon", die für pädagogische Zwecke ein eben so dringendes Bedürfniß ist, wie das, welches Blümner durch seinen musterhaften Commentar befriedigt hat. Wie man hört, geht Prof. Braune in Leipzig damit um, eine Collection der literargeschichtlich wichtigsten Werke unserer Literatur in usuin sekvlarum in correcten Textausgaben zu publiciren und mit Opitzens Poetik und einigen dramatischen Dichtungen von Gryphius den Anfang zu machen. Man darf wohl darauf rechnen, daß in dieser Sammlung auch der „Laokoon" nicht fehlen werde.
') Ich will bei dieser Gelegenheit ein paar Anfragen stellen. Wie ist S. 13 in dem Sahe: „Doch selbst unsre Urältcrn" u. s, w. das Doch zu verstehen? und worauf bezieht sich das selbst? Worauf bezieht sich S. 22 in den Worten „auch durch diesen eingebildeten Werth" das auch? Ist S. 161 die Periode „Das Verlorne Paradies — beschäftigt hatte" syntaktisch und logisch in Ordnung? Ich sehe an diesen Stellen Schwierigkeiten, die ich mir natürlich in meiner Weise auflöse, aber ich möchte wissen, ob meine Auflösung die richtige ist. Die Herausgeber schweigen sich sämmtlich aus, wie das ja bei den schwierigsten Stellen stets der Fall ist.
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