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beste, denn viele seiner Lieder haben doch einen zu persönlichen Charakter und sind ohne genaue Kenntniß seiner Biographie gar nicht verständlich."
Grade das aber, erwiderte ich, erhöht den Eindruck der Unmittelbarkeit.
„Sie haben übrigens ja wol auch nicht alles übersetzt?" fragte er.
Ich erwiderte, daß ich die Lieder und Balladen vollständig und von den Gedichten eine Auswahl gegeben hätte.
„Kennen Sie Schottland?" fragte er, „und beson ers die Stätten, auf denen die Lieder von A. Burns sich bewegen?"
Ich verneinte es.
„Es ist rührend zu sehen." sagte er, „wie sein Andenken in seiner Heimat fortlebt, und selbst beim gemeinen Manne. Als ich die Gegend bereiste, traf ich einen Mann, bei dem ich mich nach dem Wege erkundigte. Als er hörte daß ich Burns nachginge, wurde er herzlich und freundlich; er gab mir, da ^ zu regnen drohte, seinen Regenschirm mit und sagte, ich könnte ihn ja bet Mrs* (einer damals noch lebenden jüngeren Schwester von Burns) abgeben. Diese lernte ich kennen und sie erzählte mir, daß der Dichter sie als Kind oft auf dem Schoße gehabt und ihr Märchen erzählt habe.
Er brachte eine Photographie von Burns' Geburtshause herbei. „Es ist Innern und Aeußern noch ganz unverändert; auch das Kämmerlein, in welchem der Dichter geboren wurde. Auf Stichen sieht es meist stattlicher aus, weil es mit einer Umgebung von Bäumen drapirt ist; diese Abbildung giebt es ganz treu wieder."
Mit Rührung betrachtete ich die einsame ärmliche Bauernhütte.
„Burns und Walter Scott" fuhr Freiligrath fort, „sind die populärsten Namen in Schottland. Mein Kutscher wies mir mit der Peitsche alle die Stellen, die in der LaZ^ ok tds I^aKs und in anderen schottischen Dichtungen vorkommen."
„Da ist mir kürzlich", fügte er hinzu, „der eigenthümliche Fall vorgekommen, daß ein englischer Uebersetzer metner Gedichte, auch ein nach Burns übersetztes Gedicht, wie es scheint, für ein Original ansah und das aus dem Englischen verdeutschte Gedicht wieder ins Englische zurück übersetzte. Es *var mir ein Maßstab für die Treue meiner Uebersetzung. Das Gleiche be- öegnete mir mit einem Gedichte von Felicia Hemans, das ich übersetzt hatte und das in Amerika wieder ins Englische übertragen wurde."
„Was ist Ihre Ansicht", fragte er, „von dem Uebersetzen Burns'scher Gedichte deutschen Mundarten?"
Ich erwiderte, daß ich im Princip durchaus damit einverstanden sei.
„Ich bin es nicht", bemerkte er. „Jede unserer Mundarten trägt eine individuelle Färbung, die den Charakter des Volksstammes bezeichnet. Burns' Gedichte, von Corrodi ins Alemannische übersetzt, erhalten dadurch eine ale- Grenzbotm II. 1876. 36