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Lehmann ist zu seiner ganzen Arbeit veranlaßt durch die Landwehrcontroverse und was mit ihr zusammenhängt; insbesondere war es für ihn nöthig, über die ostpreußische Ständeversammlung vom Februar 1813 Klarheit zu gewinnen. Ueber dieselbe hatte nun Schön 1849 in seinem „Sendschreiben an Schlosser" einen ausführlichen Bericht erstattet, welcher als vorzüglichste Quelle für diese Dinge von den Historikern benutzt und zur Ergänzung der amtlichen Ueberlieferung mit Vorliebe gebraucht war. Ja Schön's Tradition hatte auf die übliche Auffassung größeren Einfluß ausgeübt als die aktenmäßigen Reste aus der Zeit selbst. In Königsberg existiren diese Akten der Ständeverfamm- lung von 1813, welche im Original selbst bet der Generallandschaft Ost- Preußens aufbewahrt, in einer etwas späteren Abschrift aber auch im Ober- Präsidialbureau vorhanden sind. Diese Akten hatten Droysen im Leben Uork's und Witt in seinem Aufsatze „der preußische Landtag" (in Raumer's historischem Taschenbuch für 1857) schon benutzt; Droysen hat in der ersten Auflage die wichtigsten Stücke auch abgedruckt*). Aber beide Darsteller mischen in diese aktenmäsztgen Aufschlüsse die Erzählungen Schön's hinein: für den Kritiker ist es außerordentlich schwierig, die beiden hier zu ei n e r Darstellung verschmolzenen Traditionen auseinander zu bringen. Pertz (Leben Stein's, III. 1851) hatte vornehmlich sich an die beiden Berichte von Stein und von Bork gehalten, ohne die Widersprüche zwischen denselben und der Schön- schen Tradition genügend hervorzuheben. Sobald man aber erst den allgemeinen Charakter der von Schön ausgehenden, erst lange Zeit nach dem Er- eigniß fixirten Ueberlieferung erkannt hatte, konnten jene Widersprüche nicht verborgen bleiben (vgl. meine Andeutung in den Grenzboten S. 165), es ist Lehmann's großes Verdienst, auch an dieser Stelle die kritische Detailseetion vorgenommen und die UnHaltbarkeit und Unwahrheit des Schön'schen Berichtes dargethan zu haben (142 — 213). Ich darf auf Grund eigener schon vorher angestellter Prüfung heute meine Uebereinstimmung mit diesen Ausführungen bezeugen. Wer die Anfänge der Freiheitskriege zu erzählen sich vorsetzt, wird das Sendschreiben Schön's an Schlosser aus der Reihe der zu benutzenden Quellen kühn auszustreichen und sich an die Reste der gleichzeitigen Akten und Berichte ausschließlich zu halten haben.**) Dies negative Ergebniß der Lehmann'schen Kritik ist unanfechtbar und sicher gestellt. Nicht so ganz unbedingt sicher erscheinen mir seine Versuche, den wirklichen Hergang der Königsberger Vorgänge herzustellen. Die einzelnen Angaben in dem Be-
*) Leider befindet sich dieser Abdruck nur in der ersten Auflage; in allen späteren (auch der letzten, 7.) fehlt er. So würde es sich immer lohnen, noch einmal das ganze Akten- niaterial, und zwar seinem ganzen Umfange nach, an leicht zugänglicher Stelle zu Publiciren.
Als Quellenschrift, freilich ohne viel Inhalt, kann aber wohl benutzt werden der amtliche Bericht Schön's vom 11. Dezember 1813 (I. 2. x. 17t), L. scheint anderer Meinung (S. 211 Note.)