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bühnenfähig ist, beim Lesen einen solchen Genuß und Eindruck bewirken, daß man den Mangel der Bühnenfähigkeit wenig empfindet, Charakterschilderung und psychologische Entwickelung der Handlung ersetzen oft die fehlende plastische Darstellung. Aber auch diese fehlen den Vondel'schen Dramen. Sein eigner religiöser Charakter, sein geistiges und kirchliches Leben schaut aus seinen Gedichten hervor. Vondel wandte sich mit Widerwillen von den religiösen Zänkereien seiner protestantischen Zeitgenossen ab, suchte und fand Ruhe in der katholischen Kirche. Nicht durch Kampf kam er zum Frieden, zur Seelenruhe, zur eignen selbständigen Ueberzeugung: der innere Zwiespalt des nach Wahrheit suchenden Menschen war ihm unbekannt; die Weisheit der Menschen, ihr Suchen und Denken waren ihm Narrheit gegenüber der offenbarten göttlichen Weisheit. Bei dem Gezänk der Protestanten, der Arminianer mit den Gomaristen, den verschiedenen Richtungen in der Secte der Monnoniten, zu welcher Bondel gehörte, flüchtete er sich unter den Schirm der Kirche, die keinen Streit der Meinungen kennt , die keinen Zweifel erlaubt, welche ihre Autorität der Freiheit gegenüberstellt. Die Macht Gottes, sein unerforschlicher Rathschluß, dem sich der Mensch willenlos fügen soll, ist der Gegenstand der Poesie Vondel's. Darum entwickelt sich die Handlung in Vondel's Dramen nicht nach innern Gesetzen, nach menschlich-ethischen Beweggründen, sondern nach dem unbegreiflichen, willkürlichen Rathschluß Gottes, eines echten Äeus ex ms-odivg,. Vondel's Helden handeln nicht wie Menschen, sondern wie Automaten, die von einer ungesehenen und unbekannten Kraft in Bewegung gesetzt werden. So ruft in Gysbrecht van Amstel der Held Gysvrecht im verzweifelten Kampf gegen die anstürmenden Feinde: „Auf, Männer, zu den Waffen! Es ist der jüngste Tag, und mit diesem Haus zu Ende. Noch soll eZ nicht ohne Rache zu Grund gehen; es muß eine große Zahl der Ihrigen mit uns zum Himmel fahren." Und bald darauf, nachdem ihm der Engel Naphael erschienen ist, der ihm befiehlt zu fliehen: „Nun beuge ich mich vor Gott!" Der Held, der in hochpathetischen, langen Reden fortwährend seinen Kampfesmuth verkündet und dann auf den Befehl eines Engels, ohne die geringste Widerrede , entflieht, mag ein frommer Mann nach dem Geschmack der Kirche sein, unser Herz kann sich aber nicht im Geringsten für ihn erwärmen.
In „Jeftha" läßt der Dichter am Schluß, nachdem Jeftha seine Tochter geopfert hat, sagen: „Der Himmel konnte diesen Todesstreich verhindern, wenn er wollte; aber er wollte, daß sich Jeder an Jeftha spiegeln sollte." Auch die Tochter selbst verräth kein menschlich-natürliches Gefühl, als sie ihr schreckliches Loos aus dem Munde ihres Vaters vernommen hat. Sie antwortet: „Deine Unschuld wird in allen Staaten und Jahrhunderten verkündet werden. Kein Kindeshaß trieb Dich zu dieser That." Darauf folgen