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lichkeit ohne alle Scham ihre Orgien feiert; und so bereitwillig diesen Schrif- ten der Ruhm zugestanden werden soll, daß sie unter der modernen Bordellliteratur einen Rang einnehmen, gegen welche „Faublas" ein naives Buch zu nennen ist, so wenig hat der Autor bisher irgendwie deutsche Sitten und Zustände zu schildern oder einen deutschen Leserkreis vorzugsweise gewinnen wollen und können. Die Scenen knutiger Wollust, bei denen Herrn Sacher- Masoch so wohl zu Muthe ist, bei denen er seinem Nationalbehagen die Zügel schießen läßt, jene Scenen, bei denen der Liebhaber der kleinrussischen Schönen das höchste Maß des Glückes erreicht glaubt, wenn die „Venus im Pelz" — ohne weitere Kleidungsstücke — ihm den Fuß auf den Nacken setzt und ihn peitscht, daß ihm das Blut herunterströmt, oder bei denen der Pelz der Schönen das elektrische Fluidum bildet, welches Liebesfunken sprüht und erzeugt: Alles das ist uns Deutschen unverständlich; für Menschen, die sich noch nicht weit über die Lebenssphäre der Creatur erhoben haben, deren Fell sie tragen, mag es dagegen höchst interessant sein. Niemand wird das Herrn Sacher-Masoch bestreiten, niemand auch bezweifeln, daß solche Scenen, von welchen der Autor ernsthaft versichert, sie seien in Klein- und Großrußland, namentlich zu den Zeiten der großen Katharina landesüblich gewesen, dort vorkommen können. Vielleicht hat er schon in Graz diese historische Entdeckung vom Katheder vorgetragen und ist darauf die Beharrlichkeit zurückzuführen, mit welcher er dem Berufe eines Privatdocenten der Geschichte während zehn Jahren erhalten wurde, ohne daß man sich veranlaßt fand, mit seinen Kenntnissen eine Professur zu zieren. Jedenfalls aber sind solche Sitten und Gewohnheiten nicht deutsch, in keinem unserer Gesellschaftskreise heimisch und zu keiner Zeit deutsch gewesen. Nun kommt aber Herr Sacher. Masoch und belehrt uns in einem vierbändigen Roman, daß alle die unnatürlichen Laster und Manieren, deren sich bisher nur die von ihm geschaffenen kleinrussischen Nationalhelden beider Geschlechter, mit oder ohne Pelz, erfreuten, „die Ideale unserer Zeit" seien, d. h. recht eigentlich deutsche Untugenden. Wer wollte daranzweifeln? Herr Sacher-Masoch sagt es. Er „wagt es, dem deutschen Volke einen Spiegel vorzuhalten, in dem es sich genau so erblicken kann, wie es in der That ist". Er hat „den Versuch gemacht, deutsches Leben und deutsche Verhältnisse weder verzerrt und verhäßlicht. noch verschönert oder geschmeichelt darzustellen, sondern einfach wahr, vorzüglich aber die bedenklichen Neigungen und Verirrungen, Thorheiten, Leidenschaften und Laster der Nation, welche in neuester Zeit aufgetaucht sind". Sehen wir zu, was Herr Sacher-Masoch in seinem Spiegel uns zeigt.
Drei junge Männer, einen Freundeskreis in einer deutschen Residenz, mit der Berlin gemeint sein soll, begleitet der Roman auf ihren Lebensschicksalen. Der erste, Wolfgang, ist Bildhauer ohne Beschäftigung. Der zweite.