442
Und doch ist diese Frage äußerst berechtigt einem Menschen gegenüber, der fern von jener Bescheidenheit, die nach Goethe nur dem Lumpen eigen ist, sich für den einzigen Deutschen ausgiebt, der seinem Volke den Spiegel der Wahrheit vorhält. Denn wenn es gelingt. Herrn Sacher-Masoch zu überführen, daß er lügt, wenn er sich zu uns Deutschen rechnet, so wird wohl auch ein billiges Mißtrauen gegen seine sonstigen „Wahrheiten" zulässig sein. Nun ist aber die Wahrheit die, daß Herr Sacher-Masoch niemals und nirgends deutsches Bürgerrecht besessen hat; daß er auch gar keine Aussicht hat, dasselbe jemals irgendwo zu erlangen. Er hat Deutschland und „Deutsche" fast ausschließlich nur in den Redactionsbureaus jener Wiener Welfenblätter kennen gelernt, in denen sich alle guten Geister zusammenfanden, die, wie Herr Sacher- Masoch selbst „sich weder durch politische Erfolge noch durch Siege auf dem Schlachtfelde bestechen ließen", aber dafür, wie Herr Julius Freese, eine leidlich offene Hand für den Dank des Hauses Hietzing zeigten. Er verdankt allerdings deutschen Erziehern und deutschen Denkern das ihm eigene Maß von Bildung und die Fähigkeit, sich in einer europäischen Kultursprache, eben der deutschen, auszudrücken, was ihm in seiner Muttersprache unmöglich gewesen wäre. Aber er hat die deutsche Sprache bisher nur dazu benützt, Deutschland zu schmähen und herunterzureißen und deutschgeschriebene Bücher herauszugeben, welche den Kultus der Knute celebriren und der unnatürlichen Wollust Altäre bauen.
Wenn die Gelehrten der Revue Äss cieux Nonäes sich durch den Zufall, daß Herr Sacher-Masoch deutsch schreibt, wenn er sich der einzigen Kultursprache bedient, die ihm zu Gebote steht, dazu haben verleiten lassen, diesen ruthenischen Galizier für einen Deutschen zu halten, so ist das Franzosen verzeihlich. Aber etwas ungünstiger ist zu urtheilen über das Verfahren Rudolf Gottschall's, welcher diese unreinen Erzeugnisse einer östlichen Phantasie ganz ernsthaft in den verschiedenen Auflagen seiner deutschen „Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts" mit aufführt, und 1875 in Nr. 25 der von ihm redigirten „Blätter für literarische Unterhaltung" zur Beseitigung der Annahme, als könne dieser rastlos schreibende Mann einmal sich versehen haben, mit der gewohnten Bestimmtheit versichert, daß die Schriften Sacher- Masoch's „jedenfalls der deutschen Literatur angehören". Recht komisch macht es sich auch, wenn in dem bekannten, von Paul Heyse u. A- angehäuften deutschen „Novellenschatz" eine Erzählung Sacher-Masoch's sich mit abgedruckt findet. Durch eine so kritiklose Unterwerfung unter fremdländische Unverschämtheit, welche sich dreist in den Bann und Frieden unsres Hauses drängt, ist die Entstehung des Aberglaubens bei Herrn Sacher-Masoch einigermaßen verzeihlich: er müsse mit zu „den neueren deutschen Dichtern" gerechnet werden — er „zähle zu den Wenigen in Deutschland, welche», s. w.".