Beitrag 
Vom deutschen Reichstag.
Seite
233
Einzelbild herunterladen
 

233

hochverräterischer Unternehmungen gegen Deutschland gemacht werde. Die Veränderung wurde indeß abgelehnt. Bei der Bekämpfung glänzten nament­lich die Redner der Fortschrittspartei, indem sie nicht begreifen konnten, wa­rum wir den Hochverrath gegen das Ausland in unsern Grenzen bestrafen sollen, so lange uns die Gegenseitigkeit nicht zugesagt ist. Wem fällt nicht der köstliche Bilderbogen aus der Knabenzeit ein, wo die Bürger von Schilda verhandeln, ob sie dem Feind entgegengehen sollen, und mit ihrer Weisheit zu dem Resultat kommen: warum sollen wir dem Feind entgegengehen? der Feind kann zu uns kommen. Darüber lacht man als Knabe und hält es für Scherz. Wenn man in reifen Jahren diesen Beschluß von der höchsten Versammlung des eignen Landes gefaßt sieht, lernt man freilich an die Wirk­lichkett glauben, und man hört auf zu lachen. Die künftige Geschichtsschrei­bung wird bei dieser Sitzung vom 20. Januar verweilen als einem der schlagendsten Beispiele, wie weit die Mehrheit der Zeitgenossen im Stande war, den Gedanken ihres großen Kanzlers zu folgen.

Diejenigen Paragraphen der Novelle, deren Annahme mit geringen Ver­änderungen erfolgt ist, verfolgen wir bei der Berathung nicht, sondern be­gnügen uns, die wichtigeren anzuführen, so die wohlthätige Bestimmung, wo­durch die Vergehen wider die Sittlichkeit aufhören , Antragsvergehen zu sein. Wir wollen hier die Bemerkung einschalten, daß nach unserer criminalistischen Ueberzeugung das Strafgesetzbuch gar keine Vergehen enthalten sollte, die nur auf Antrag des Verletzten verfolgt werden dürfen. Die Zulassung dieser Kategorie widerspricht den Grundprinzipien alles Strafrechts, und die prak­tischen Gründe halten keiner genauen Prüfung Stich/) Nothwendig ist freilich nach Beseitigung der Antragsvergehen ein freies Ermessen der Staatsanwalt­schaft über die Einleitung der Straferfolgung, und dieses freie Ermessen be­darf zu seiner Korrektur des Institutes der Popularklage, an das unsere Juristen noch durchaus nicht heran wollen, auch diejenigen nicht, die dem Befürworter dieses Institutes, Gneist, fast überall folgen in seiner Vorliebe für die Gestalt der englischen Strafrechtspflege. Wir unsererseits folgen Gneist auf dem Gebiet des Strafrechts nur in der Ueberzeugung von der Unentbehrlichkeit der Popularklage in einem richtig angelegten und vollstän­digen Nechtssystem. In der Ueberzeugung, daß die Antragsvergehen zu beseitigen sind, macht uns auch der Diebstahl der Hausgenossen und Aehn- liches nicht irre. Denn wie sollen solche Handlungen als strafbar qualificirt

Sowohl vom criminalpolitischm als vom praktischen Standpunkt aus ist das Institut der sog- Antragsdelicte bereits in den Motiven zum deutschen Strafgesetzbuch von 1870 für die große Mehrzahl der deutschen Fachmänner in ausreichender Weise als nothwendig charakterisirt. Es kann daher hier von einer weiteren Bekämpfung der Idee der Einführung der Popularklage in« deutsche Strasrecht füglich abgesehen werden. D. Red.

Grenzboten I. 1876. 30