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Landeskirche und Landtag in Preußen. II.
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Staatsbehörden besaß, so wurde durch dieses Verhältniß der Staat thatsäch­lich Träger des jus iu ss-erg» Man müßte denn annehmen, daß dieses letztere Recht in der evangelischen Kirche ganz geruht habe. Aber auch bei dieser Annahme gab es wenigstens keinen andern Wächter des bestehenden Glaubens und der bestehenden Lehre als den Staat. Daß aber der Staat in die Lehr­gestaltung eingriff und zwar, wie es nicht anders sein konnte, nach den wechselnden Ueberzeugungen der Staatsleitung, davon machte die evangelische Kirche Preußens die gründlichste Erfahrung unter Friedrich Wilhelm I. wie unter Friedrich II., unter Friedrich Wilhelm II., wie unter Friedrich Wil­helm III. Die empfindlichste E^sahrung dieser Art aber gab die Negierung Friedrich Wilhelm's IV. in den Jahren von 18401848. Mit dem Jahr 1848 schien eine große Veränderung eintreten zu sollen. Zu den Hauptforderungen des damaligen Liberalismus gehörte die Trennung der Kirche vom Staat. Demnach wurde der berühmte, im vorigen Jahr aufgehobene Artikel 15 in die preußische Verfassungeurkunde ausgenommen: die evangelische und die römisch-katholische Kirche, sowie jede andere Religionsgesellschaft, ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig u. s. w. Bei der Ausführung dieses Artikels machte der Liberalismus jene so handgreiflich unvermeidliche und doch für den Liberalismus überraschende Erfahrung, daß der katholischen Kirche mit ihrer ausgebildeten Hierarchie die selbständige Verwaltung ihrer Ange­legenheiten ein Leichtes war, daß aber für die evangelische Kirche die neue Selbständigkeit nichts Anderes bedeutete, als die Unabhängigkett des landes­herrlichen Kirchenregimentes von dem parlamentarischen Einfluß. Die Theorie dieser Unabhängigkeit wurde alsbald von Seite des landesherrlichen Kirchen­regimentes verkündet. Man argumentirte hier folgendermaßen: die Mit­gliedschaft der parlamentarischen Körperschaften ist wie die Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte überhaupt nach der Verfassung unabhängig von dem religiösen Bekenntnisse. Die parlamentarischen Körper, wo alle Bekennt­nisse und selbst die Irreligiosität durcheinander vertreten sind, entbehren also jeder Legitimation, bei dem Regiment irgend einer Kirche mitzusprechen. Die evangelische Landeskirche besitzt dagegen als einziges maßgebendes Organ ihres Regimentes den evangelischen Landesherrn. Dieser Landesherr wird das evangelische Kirchenregiment üben wie bisher, aber die Veränderung, welche ihn im Staat an die Mitwirkung der parlamentarischen Körper bindet, kann nicht Platz greifen bei dem Regiment der evangelischen Kirche, welcher die parlamentarischen Körper als solche nicht angehören. So hatte sich die Selbständigkeit der evangelischen Kirche verwandelt in die Unumschränktheit des landesherrlichen Kirchenregimentes. Der Liberalismus glaubte sich be­trogen, während er sich doch nur selbst betrogen hatte. Der eben geschilderte Gang der Dinge war ein ganz natürlicher, unvermeidlicher.