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Aphorismen zu den neuesten Zeitfragen : 1. Gallische sympathetische Ekstasen.
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Aphorismen zu den neuesten Ieitfragen.

Von L. P. Lange, Professor und Obereonsistorialrath zu Bonn.

1. Gallische sympathetische Ekstase«.

Die jetzige ultramontane Aufregung in Frankreich oder vielmehr des französischen Volkes ist keine neue Erscheinung, sondern das letzte, allerdings größte und schauerlichste Phänomen einer Eigenheit des Gallicismus, welche in der französischen Geschichte in einer Reihe von sympathetischen oder patho­logisch unfreien Exaltationen zu Tage tritt.

Es erscheint als eine Eigenheit des gallischen Geistes, welche ohne Zweifel mit seiner Ruhmbegierde zusammenhängt, daß er historische Leiden und Niederlagen nicht wohl ertragen kann, ohne dagegen in schwär- merischen Aufregungen zu reagiren. Während es bei anderen be­sonneneren Nationen fast wie ein Lebensgesetz sich ausnimmt, daß sie durch große geschichtliche Katastrophen zur stillen ruhigen Einkehr in ihrem natio­nalen Beruf, zur geistigen Concentration und Sammlung ihrer Kräfte, zur AbWartung der Zeit, und endlich zu einer würdigen begeisterten Erhebung gestimmt werden, reagirt der gallische Geist in der Regel gegen seine Anfälle mit Explosionen eines wilden, krankhaften Enthusiasmus, welcher sich mit­unter bis zu dämonischer Maaßlosigkeit steigerte. Schon Cäsar hat in seiner Schrift äs böllo Mllieo diesen Charakterzug durch manche allgemeine Be­merkungen wie durch die Darstellung der immer neuen Ueberstürzungen des gallischen Ruhm- und Rachetriebes veranschaulicht. Auch tritt bei ihm schon die Wahrnehmung hervor, daß solche Ueberstürzungen gerne den Charakter religiöser Ueberspannungen unter priesterlicher Leitung annehmen. Zum Be­leg dient unter anderm die Stelle, Buch VI, Kap. XVI. Auch hebt er den großen Unterschied der Germanen von dieser Leidenschaftlichkeit hervor, eben daselbst und Kap. XXI. Er berichtet, daß er nur durch die grausamste Strenge das gallische Land habe zur Ruhe bringen können, Buch VIII, Kap. XXXXIIII.

Die Erscheinungen des Aufloderns gallischer Ekstasen gegen vermeintliche U Verträglichkeiten bilden eine lange Geschichte. In den Kreuzzügen reißt der Peter von Amiens sein ganzes Volk und Frankreich, das ganze Abendland mit sich fort: die Muhamedaner dürfen das heilige Grab nicht beherrschen. Weiterhin erklärt der Vertilgungskrieg gegen die Albigenser: die Ketzerei darf das schöne und fröhliche Frankreich nicht verdunkeln. Sogar der Glanz der Tempelherrn wird dem französischen Hofe unerträglich, nicht minder die deutsche Kaiserkrone, und selbst die Autorität Roms mehr als einmal.