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auch unser Wohnhaus soll, wie wir selbst, die Gottähnlichkeit des Menschen d. h. unser Streben nach dem Höchsten zum Ausdruck bringen.
Auch hier soll das Triviale verbannt sein und die Feiertagsstimmung der wahren Schönheit herrschen, denn wo diese herrscht, da flieht das gemeine. Jedoch darf hier die Kunst von ihrem hohen Kothurn herabsteigen und holde Grazie, Witz und Humor sich freier entfalten als in der Kirche. Den Ballsaal und das Boudoir einer Dame mit dem Ernst der dorischen Säule und der zum Himmel strebenden Gothik zu schmücken, wäre ebenso verfehlt, als in der Kirche holländische Genrebilder, Landschaften und Fruchtstücke in goldenen Rahmen aufzuhängen. Dieselben Regeln gelten von der Musik und von dem Gesänge. Beim Christenthum ist der Unterschied zwischen religiös und Profan um so größer geworden, je mehr es nur die Sehnsucht nach dem Jenseits betont und nicht wie die griechische Anschauung den Himmel auf Erden sucht. Diese einseitige Sehnsucht nach dem Jenseits hat das Mittelalter fast krank und für den Genuß der Erdenfreuden vielfach unempfänglich gemacht. Der edelste Ausdruck dieser Stimmung liegt in den Malereien des Mönches I'rg. ^ngelioo äs, ^itzsole, im Gegensatz zur classischen Schönheit der alten heidnischen Götterwelt.
Zwischen Sinnenlust und Erdenfrieden Schwankt der Menschen bange Wahl, Auf der Stirne des Kroniden Leuchtet ihr vermählter Strahl.
Erst die Renaissance erringt auch in der Kunst wieder den heidnisch humanistischen Standpunkt und sucht ihn mit dem Christenthume zu versöhnen. An dieser Aufgabe arbeitet auch unsere Zeit. Mächtig und schroff haben sich die Ultramontanen diesen Bestrebungen widersetzt, da sie den Na- zarenismus und Byzantinismus selbst einem Raphael entgegenstellen.
Levin Schücktng läßt in einem seiner Romane Luther mit Raphael sich unterhalten und den damals noch mönchisch denkenden Feuergeist den Vorwurf an Raphael richten, daß er keine christliche, sondern heidnische Gestalten Male, da diese schon die Glückseligkeit des Himmels auf Erden, nicht aber die den Christen bezeichnende Sehnsucht nach dem Himmel ausdrückten. Luther hatte Recht, wenn er als Mönch das Christenthum nur in der Askese erblickte, die die Welt als Jammerthal und das Leben als Leiden betrachtet. Raphael hatte aber im höheren Grade Recht, da er an die Kindschaft und Gottähnlichkeit der Menschen glaubte und in der Kunst die Aufgabe erfüllte, den Himmel auf die Erde zu versetzen und ein verlorenes Paradies un^ wiederzugeben. Ihm wie Michelangelo, wie Mozart und Beethoven and andern gottbegnadeten Künstlern war die Kunst mit der Religion ui^^rmbar vereinigt.