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Verzicht also, das ganze Gemeindewesen in den Provinzen Rheinland und Hessen-Nassau sofort umzugestalten, sowie über den Verzicht auf den sofortigen Erlaß einer Landgemeindeordnung und einer neuen Städteord- uung für die östlichen Provinzen stellt man sich, oder ist man in einem Theil des liberalen Lagers sehr betroffen. Und doch werden schon die jetzigen Vorlagen eine Ausdehnung der Session bis Ende Juni nöthig machen. Diese Klagen bald über zuviel Arbeit, bald darüber, daß Rom noch nicht fertig ist, sind in der That rechr unverständig, ja aus dem Munde verständiger Leute ganz unbegreiflich. Man begründet die letztere Klage auf die Besorgniß, daß das Eisen kalt werden könne, wenn es es nicht aufs allerschnellste geschmiedet werde. Wenn aber der Aufbau des deutschen Nationalstaates nach außen und innen von der Gunst eines einzigen Tages abhinge, so wäre er ein hoffnungsloses Werk. Die Aeußerungen dieser Sorge sind aber kaum ernsthaft zu nehmen. Wir unsererseits wünschen gleichmäßig der Regierung, den preußischen Staatsbürgern und selbst den unzufriedenen Parlamentariern Glück dazu, daß die preußische Staatsregierung stark und besonnen genug ist von einem nothwendigen Werk eine Hast fern zu halten, welche keine andere Folge haben könnte als die, die athemlosen Arbeiter unter dem einstürzenden Bau zu begraben. O — r.
Kus dem «Lisch.
Mitte Januar 187S.
In den letzten Wochen ist von elsaß-lothringischen Dingen in den Tagesblättern viel die Rede gewesen von dem sauren Komplimente an, welches Herr Abbe Gerber im Reichstag dem Fürsten Bismarck gelegentlich der Verordnung über die Gerichtssprache machte, bis zu der Kapuzinade des Herrn Abbi Winterer gegen das deutsche Unterrichtsgesetz. Das Urtheil über diese Vorgänge war in allen nationalen Kreisen so einstimmig, daß der Tagesstaub, welcher dadurch aufgeweht wurde, sich längst wieder gelegt hatte, ehe ich dazu kam, ihn für die Leser dieser Wochenschrift noch durch einige besondere kritische Windstöße in die Luft zu blasen. Durfte ich aber damals über Angelegenheiten, welche in den Tagesblättern hinreichend besprochen waren, in den „Grenzboten" schweigen, ohne daß man eine sonderliche Lücke empfunden haben wird, so wird es mir heute um so mehr gestattet sein, nicht mehr auf diese alten Geschichten zurückzukommen.
Ich beginne deshalb sofort mit Einigem aus der jüngsten Vergangenheit und zwar mit einem Einzelereigniß, welches mit der Debatte im Reichstag bezw. der betr. Commission über das elsaß-lothringische Budget in einem gewissen Zusammenhang steht. Die einzelnen Posten dieser Budgets sind von der unabhängigen einheimischen Presse, namentlich vom Mülhäuser „Imlustriol ^lsseien" einer vielfach tadelnden Prüfung unterzogen worden. Dem genannten Blatt war es besonders ein Hauptvergnügen, durch Nebeneinanderstellung der alten Departementsbudgets aus der französischen Zeit und des jetzigen Landesbudgets in die Augen springend darzuthun, wie sehr viel theurer die deutsche Verwaltung sei. Dieß ist richtig, aber davon, daß Deutschland den Verhältnissen nach, welche die Heranziehung nichtelsässischer Beamten erforderten, die nur um gute Besoldung zu haben waren, da die einheimischen Elemente mit verschwindenden Ausnahmen den Dienst versagten, dazu gezwungen war, - von dieser äurg. iu!ev8sita,3 schwieg das Mülhäuser Blatt. Trotzdem, und da wirklich mit der Zeit Ersparnisse in der Verwaltung gemachtwerden können, wurde in der betr. Reichstagscommission die Frage erörtert, ob nicht eines der drei Bezirkspräsidien oder zwei oder alle drei aufgehoben werden