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Aus der Bastille
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kam man einer Bande von Missethätern auf die Spur, deren Genossen damals über ganz Frankreich hin verbreitet waren und deren Treiben auf die Sitten­geschichte der Negierungszeit Ludwig's XIV. ebenfalls ein Streiflicht wirft.

Die Parallele zwischen dem sinkenden Rom unter den Cäsaren und Frank­reich unter seinem glänzendsten Herrscher im Hinblick auf die Sitten ist schon oft gezogen worden. Willkür, Gewaltthätigkeit, grausame Justiz, Mißachtung der Gesetze und Lockerung der ehelichen Bande, schließlich frevelhafter Luxus neben Elend und Leibeigenschaft, und statt der Religion Muckerthum und Aberglauben sind beiden Perioden gemeinsam; nur der äußere Nahmen ist. im alten Rom großartiger. Wie hier die Priester aller Secten und Culte, in ihrem Gefolge das Schmarotzergesindel der Zauberer und Beschwörer, Astrologen und Somnambülen, der phrygischen Galli, derÄindubaiarum eol- legis., xksrin^eoxolae" und die Zunft der Giftmischerinnen mit sich brachten, so tauchen in den Tagen der klassischen Blüthezeit des französischen Geistes die modernen Locusten, die Brinvilliers, La Chausfte und La Vvifln im Bunde mit teufelbeschwörenden Bonzen und Horoskopenstellern auf. Die wichtigste Rolle unter ihnen spielten anfangs die Pariser Sibyllen. Sie wohnten in kleinen Häuschen in abgelegenen Stadtvierteln. Dort holten sich Rath und Hülfe vornehmlich Frauen und Mädchen, welche die Eifersucht plagte; jedoch nur im Namen guter christlicher Helligen, z. B. des Antonius. Nur brachte der Verkauf von Liebestränken und Prophezeiungen nicht genug ein, um da­mit die Existenz fristen zu können. Man trieb daher noch eine Nebenkunst. War ein Ehemann oder Liebhaber nicht wieder treu zu machen, oder wurde feine Fortexistenz unbequem, so wandte man sich durch Vermittlung der Priesterinnen an die höheren Mächte mit der Bitte, das Herannahen des Witwenstandes zu beschleunigen. Auch ungeduldige Erben, Schuldner, rach­süchtige Feiglinge, die nicht gerne auf die Mensur gingen, welche alle ihr Ziel auf bequeme Weise erreichen wollten, gehörten zu der Kundschaft.

Das scheußliche Handwerk fand mit erschreckender Schnelligkeit Verbrei­tung und wurde gewissermaßen zünftig. Dabei entwickelte sich ein Erfin­dungssinn, der zu wahrhaft teuflischer Raffinerie in der Verabreichung des Giftes führte. Eine bedeutende Rolle spielten mit Arsenikseife gewaschene Hemden, die sogenannten Gesundheitspillen und das Successions-- oder Erb­folgepulver. Viele Apotheker standen mit den Giftmischerinnen in geschäft­lichen Beziehungen und hatten gemeinsame Klienten und Patienten. Als ergänzendes Seitenstück gehören hierzu die unglaublich widerlichen und von namenloser Rohheit und Bersunkenheit zeugenden abergläubischen Gebräuche mit einem Beschwörungsritualismus, der auch eine Canidia horazischen Ange­denkens befriedigt hätte. So trugen Damen als Talisman die sogenannte main äs gloire, eine Hand, die vom Leichname eines Gehängten abgehackt