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zweifelhaft eines der freisinnigsten Preßgcsetze aller geordneten Staaten. Daß die deutschen Regierungen inmitten der hohen Wogen des entfesselten ultramontanen und socialistischen Elementes ein solches Maß von Freiheit der Presse zu gewähren wagten, ist ein erfreulicher Beweis ihrer Stärke. Die im Herbst wieder aufgenommene parlamentarische Arbeit berieth bis zum Schlüsse des Jahres über die Verhältnisse der neuen Reichslande, vornehmlich in finanzieller Beziehung, bildete das deutsche Heereswesen weiter aus durch das Landsturmgesetz, das Gesetz über die Controle der Beurlaubten und die Naturalleistungen der bewaffneten Macht im Frieden. Der Haushaltetat des Reiches wurde durchberathen, das Markenschutzgesetz, der wichtige berner Weltpostvertrag u. f. w. angenommen, und mit der Berathung der großen drei Justizgesetze und des Bankgesetzes begonnen, die der Reichstag endgültig feststellen wird, bevor er auseinandergeht. Auch ein Reichsgesetz über die obligatorische Civilehe wird vom Reichstag angenommen werden, ehe er sich zu seiner Frühjahrssitzung vertagt. Diese Frühjahrssitzung selbst wird dann das Reich mit denlgroßen Justizgesetzen beschenken: einer deutschen Straf- und Civilproceßordnung und einer deutschen Gerichtsordnung. Alle diese Arbeiten kommen unzweifelhaft dem nationalen Geiste, der Befestigung deutschen Gemeinseins und deutscher Staatsmacht in hohem Maße zu statten. Das Gesetz über die obligatorische Civilehe namentlich windet der hierarchischen Unbotmäßigkeit eine der besten Waffen ausser Hand. Wir wollen nicht vergessen, daß die Einmischung der Kurie in die preußische Ehegesetzgebung es war. die den Kölner Bischofstreit entzündete, daß die lange Ohnmacht des preußischen Staates der kirchlichen Anmaßung gegenüber, deren bittere Früchte wir heute ernten, datirt von der Unterwerfung des Staates unter jene Prätension der Kirche: daß ihr Segen allein Ehen schließe, ihre Weigerung der Mitwirkung jeder Ehebindung das gesetzliche Ansehen entziehe.
Diese Erfolge der parlamentarischen Arbeit des deutschen Reichstags sind für den großen „Kulturkampf" um so höher zu veranschlagen, als jede Session des deutschen Reichstags neue Belege zu der unleugbaren Thatsache beiträgt, daß nur die reichstreuen Parteien die parlamentarische Arbeit wirklich fruchtbringend machen, die reichsfeindliche Opposition aller Farben dagegen völlig unproductiven Zielen nachjagt, oder an so absoluter gesetzgeberischer und parlamentarischer Impotenz leidet, wie die deutsche Socialdemokratie. Es kann keinen kläglicheren Gegensatz geben,' als den zwischen den himmelstürmenden Phrasen der Socialdemokratie bei den Wahlkämpfen und ihrer vollkommenen Unfähigkeit, irgend einen neuen klaren Gedanken im Parlament vorzutragen, irgend eine ihrer Forderungen in die Form eines Gesetzentwurfes zu bringen, oder sich irgendwie bei der Berathung anderer Gesetzentwürfe nützlich zu machen. Ebenso abschreckend von aller Parteinahme