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im weiteren Sinn zur Anwendung durch den Gebrauch, den die Rechtspflege von einem Schriftstück macht. Jedes Schriftstück, das zum Zeugniß einer Handlungsweise geeignet ist, für welche Jemand in staatsbürgerlicher oder amtlicher Beziehung zur gesetzlichen Verantwortung gezogen werden kann, ist eine Urkunde, sobald der Gebrauch der Rechtspflege begonnen hat. Behaupten, ein Privatbrief, der bei Gerichtsakten sich befindet, und den Jemand bei Seite schafft, sei keine Urkunde, weil die Ranke und Sybel der Zukunft ihn als Culturdokument benutzen können — so etwas darf man wohl in einem Pickwickclub behaupten, aber nicht in einem deutschen Gerichtssaal. Die diplomatischen Aktenstücke sind nun aber Urkunden, noch ehe ein bestimmter Gebrauch der Rechtspflege ihnen gegenüber begonnen hat, weil sie von Anfang an für die Möglichkeit dieses Gebrauchs einer sorgfältigen Behandlung unterworfen werden. Sie dienen ebensowohl zur Rechtfertigung des Leiters der Politik als der ausführenden Beamten, für die sie bestimmt sind. Der Herr Vertheidiger, welcher die Miene annahm, als kenne er den diplomatischen Dienst, wie wenn er Minister der auswärtigen Angelegenheiten in drei Großstaaten gewesen wäre, warf die Frage aus, wozu man die Originale in Paris aufheben müsse, wenn die Copien in Berlin aufbewahrt würden. Nun wenn mit den Copien nach denselben Grundsätzen umgegangen würde, wie sie die Vertheidigung für die Originale aufstellt, so wäre der diplomatische Dienst schier eine Unmöglichkeit. Ist es aber nicht von Wichtigkeit, den Eingang eines Erlasses zu eonstatiren? Können nicht einmal in einem solchen auch Abweichungen vom Concept vorkommen, welche die Eile nicht erlaubte nachzutragen? Darf ein solches Dokument bei Seite geschafft werden, damit nachher die Vertheidigung möglicherweise die Uebereinstimmung der Concepte in Zweifel zieht, wie diesmal die Negistrirung der geheimen Aktenstücke, trotz der positiven Aussagen der Sachverständigen, in Zweifel gezogen worden ist. Die diplomatischen Aktenstücke werden einer sorgfältigen geregelten Aufbewahrung für den Zweck der gesetzlichen Verantwortung der Urheber und der Empfänger unterworfen. Das schon macht diese Dokumente zu Urkunden, macht auf alle Fälle die unbefugte Wegführung derselben zum Dienstvergehen, weil die Sicherheit über den Verbleib dieser Aktenstücke zur Wahrung des Staatsgeheimnisses gehört im Verkehr mit fremden Nationen, gegen die wir auf der Hut sind. Außerdem dienen diese Aktenstücke ja auch zur unentbehrlichen Information der späteren geschäftsführenden Beamten und nicht bloß für den Empfänger und im Moment des Empfanges. Freilich sagte einer der Herren Vertheidiger: ein Staat, der wie das deutsche Reich für den diplomatischen Dienst nicht einmal eine Registraturordnung erlasse, wie sie jedes Gericht besitze, der dürfe sich über die unregelmäßige Behandlung der diplomatischen Aktenstücke nicht beschweren. Wahrscheinlich wird derselbe