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und Helden des Fortschrittes, der Freiheit u. s. w. zu begeistern. Wer wird sich dieses Rechtes enthalten oder wieder entäußern wollen? wer wird überhaupt so bösartig sein wollen, dies Vergnügen zu stören? Man darf erwarten, daß der von kritischer Forschung neu belebte Heldenjüngling gleich' sam im Triumphzuge durch die Spalten der Journale hindurch in die Herzen poesieliebender Menschen wieder hineingeführt wird!
Grade aber weil die Gefahr so nahe liegt, daß die Grenzpfähle zwischen Geschichte und Poesie verpflanzt und die Arbeit sorgsamer wissenschaftlicher Forschung mit Hülfe der durch die neue Aufklärung angenehm angeregten öffentlichen Meinung über den Haufen geworfen werde, gerade deßhalb wird es Pflicht sein, das größere Publikum, das sich für die Sache interessirt, über den Sachverhalt selbst und seine Begründung so schnell als möglich aufzuklären. Mit einem Worte, die Charakteristik des Don Carlos durch Schmidt, so geistreich sie angelegt, so scharfsinnig und spannend sie vorgetragen und so kritisch begründet sie zu sein scheint, sie ist dennoch unhaltbar uud kann vor einer kritischen Prüfung ihrer Gründe nicht bestehen.
Noch mehr. Die etwa eingetretene oder eintretende Erwärmung alter oder neuer Don Carlos-Verehrer bin ich in der Lage, ganz unabhängig von dem Schmidt'schen Buche, durch Darreichung eines erkältenden Sturzbades aus die normale Temperatur sofort wieder herabzustimmen: Don Carlos ist schwachsinnig gewesen, und die nach und nach festgestellte Ueberzeugung dieses seines geistigen Mangels ist das Motiv, weßhalb König Philipp ihn hat unschädlich machen, d. h. ihn hat einsperren müssen. Ich bin so glücklich gewesen, bei archivalischen Studien im Wien er Archiv, die ich in den letzten Osterferien angestellt habe, ein Document zu finden, das bisher dew Auge der Forscher entzogen und das alle bisherigen Zweifel und Unsicher heiten und Räthsel im historischen Endurtheile endgültig beseitigt und uns jetzt endlich in den Stand setzt, mit Bestimmtheit und Nachdruck zu sprechen- Und wie es bei derartigen archivalischen Studien auf schwierigem und schlüpf' rigem Boden öfter geht: hat man erst einmal das ausschließende Wort ge' funden, so gewinnen auch schon bekannte Dinge und Umstände einen neue" Sinn und eine neue Bedeutung.
Wir legen hier in möglichster Kürze den Sachverhalt dar, indem n>tt nur die Differenzpunkte etwas genauer beleuchten.
Ueber die erste Jugend des Don Carlos bedarf es nur weniger Worte- Am 8. Juli 1545 geboren, hatte er früh seine Mutter verloren und bei der wiederholten Abwesenheit seines Vaters aus Spanien unter der Leitung seiner Tante Johanna von Fremden erzogen worden. Was wir den 13 ersten Lebensjahren wissen, sind abgerissene Anekdoten, wie sie ar» spanischen und am kaiserlichen Hose erzählt und von den fremden Gesandten-
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