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Reiseglossen.
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Rheins mit den rauschenden Flußchen, den malerischen Burgruinen und den alterthümlichen Städtchen, da wird ihm die Brust zu eng für all die Selig­keit und wär's ihm auch seit Jahren nicht mehr passirt, er muß ein lustig Liedchen trällern. Und doch, wie rasch sind alle diese Eindrücke vergessen, so­bald du den Jura im Rücken hast! Wie oft du auch die Wunderwelt des Hochgebirges geschaut habest, wenn du zum ersten Mal wieder in Luzern auf der großen Brücke oder in Bern auf der Terrasse des Bundespalastes stehst, da überwältigt dich ein unbeschreibliches Gefühl des Entzückens zugleich und der Ehrfurcht ob dieser Mischung von lieblicher Schönheit und schauriger Er­habenheit. Die engen Formen dieser gewohnten Vorstellungsweise sind mit einem Schlage zertrümmert, nur langsam und mit Mühe findest du Maßstab und Bezeichnung für diese ganz andere Welt. Und eine solche ist die Schweiz nicht nur in geographischer, sie ist es ebenso in ethnographischer, in politischer und in wirthschaftticher Beziehung. Man kann die Schweizer nicht gerade zu den liebenswürdigen Völkern zählen; ihr eckiges, ungefüges Wesen be­wahrt sie vor diesem Prädicate. Dagegen ist auch von Stumpfsinn und Faulheit, dlN hervorstechenden Merkmalen mancher Gebirgsvölker, bei ihnen wenig zu finden. Im Allgemeinen ist dies Volk intelligent, ernst, fleißig, berechnend, doch ohne Habgier; selbst der bigotte Urschweizer läßt bet aller sonstigen Aehnlichkeit seinen Tyroler Nachbar an Geistesanlagen und prak- tischem Geschick weit hinter sich. Einen bedeutenden Antheil an dieser Ge­staltung des Volkscharakters hat ohne Zweifel die republikanische Staatsein­richtung, die überhaupt mehr als alles Andere der Schweiz den Stempel eines Unicums in ganz Europa aufprägt. Mag man über den absoluten Werth der Republik den ketzerischsten Ansichten huldigen, daß sie für diese concreten Verhältnisse diebeste Staatsform" ist. wird Niemand bestreiten, der die Leistungen der kleinen schweizerischen Gemeinwesen kennen gelernt hat. Man betrachte die prunklosen und doch so imposanten öffentlichen Gebäude, nament­lich die Armen- und Krankenhäuser, die arme Gebirgskantone aus eigenen Mitteln hergestellt, und man erkennt, daß es zur Erzielung solcher Resultate eines Gemeinsinns bedarf, wie wir ihn, wenn wir ehrlich sein wollen, von monarchisch erzogener Bevölkerung nur ausnahmsweise rühmen können. Im Zusammenhange mit diesem Gemeinsinn steht eine äußerst rege Thätigkett auf wirthschaftlichem Gebiete. Wer jemals von der Höhe des Brünig den schnurgeraden Faden der Aare, wie er sich durch den saftig grünen Wiesen­plan des Meiringer Thals hinauszieht, überschaut hat, wird zugeben, daß der Kanton Bern im Punkte der Flußcorrection mehr als einen deutschen Staat beschämt. Mit besonderem Stolze aber darf die Eidgenossenschaft auf ihre Verkehrseinrichtungen blicken. Nicht wenige der vortrefflichen Einrich­tungen auf dem Gebiete des PostWesens, mit denen uns unser Stephan beglückt