477
welcher stets am meisten für die Förderung des Gemeinstnns thätig war, müssen die Anstrengungen noch größer werden.
Bei solch auffallender Lässigkeit der Nationalliberalen kann es nicht Wunder nehmen, daß partikularistische und reichsfeindliche Elemente, die günstige Gelegenheit ergreifend, sich in den Vordergrund drängten. Das erstere war der Adel, das andere die Socialisten und die sog. Agrarier. Der hessische Adel ist sehr arm und verdient nicht im geringsten wegen seines Grundbesitzes politisch besonders berücksichtigt zu werden. Gleichwohl war ihm seit 1831 in der Landesvertretung eine besondere Stellung eingeräumt, bis die Gesetzgebung von 1848 dieses Vorrecht mehr mit den thatsächlichen Verhältnissen in Einklang brachte. In der Reactionszeit wieder bevorzugt, dankte er dies der Regierung nicht, verfolgte nur egoistische Zwecke und betheiligte sich auch am Verfassungskampfe nicht. Bei Herstellung der Verfassung stellte bekanntlich der Bundestag das seltsame Verlangen, daß dem Adel wieder Zutritt in die Landesvertretung verschafft würde. Die Ständeversammlung that dies 1863 mit größtem Widerstreben und vieler Selbstüberwindung. Seitdem hat sich der Adel in Hessen ungebührlich breit zu machen verstanden. Er setzte in der Berliner Versammlung der hessischen Vertrauensmänner 1867 in Verbindung mit bäuerlichem Großgrundbesitz eine Vertretung nach Ständen in dem Communallandtage durch, erhielt hier stets das Präsidium und verschaffte sich durch geschickte Benutzung der innerhalb der liberalen Abgeordneten herrschenden Zwistigkeiten sowie durch die ihm günstige Art der Organisirung der ständischen Verwaltung großen Einfluß auf letztere d. h. auf die Gestaltung der wichtigsten speciell hessischen Angelegenheiten. Die Herren v. Milchling, v. d. Malsburg, Graf Berlepsch und Andere dominiren auf Kosten der Liberalen in dem ständischen Verwaltungsausschusse und wußten durch stete Verbindung mit bäuerlichen Elementen am 4. Juli 1871 sogar die Wahl eines der ihrigen, des Herren von Bischoffshausen, zum Landesdirector durchzusetzen. Diese Wahl war liberaler Seits stark bekämpft, weil man glaubte, daß dieser Herr als langjähriger Regierungsbeamter nicht geeignet sei. der neuen Selbstverwaltung des Landes vorzustehen. Auf solche Art allmählich wieder sehr in Scene gesetzt, wagte der Adel bei allen Wahlen der letzten Jahre in mehreren Bezirken den liberalen Candidaten entgegenzuwirken und scheute sich zu diesem Zwecke nicht, mit den Agrariern eine Verbindung einzugehen, welche ihrerseits wieder mit der Partei der renitenten Geistlichen, den Ultramontanen und dem noch kurfürstlich gesinnten Theile des Adels zusammenhängen. Die Agrarier sind von Außen importirt. Der - bekannte Herr Niendorf und seine Genossen fingen mit ihren Ansichten über Hebung der Landwirthschaft Gimpel in Hessen und wurden ihre Ansichten daselbst durch bäuerliche Elemente aus eine unglaublich verschrobene Weise ausgelegt.