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glauben. Nun findet er hier einen Mann, und noch dazu einen Republikaner, der ganz nüchtern das Gegentheil ausspricht. Die Gegend scheint sonach sicher zu sein, und er darf es wagen, auch einmal etwas zu sagen, was zu Hause der Frau Gemahlin gegenüber oder aus der Bierbank annoch strenge verpönt ist. Er lenkt also ein, und weil der Zug gerade an einer kleinen Station hält, so benutzt er die Gelegenheit, seinem Nachbarn zu erzählen, daß jetzt Schlettstadt an Stelle seines bei der Beschießung zerstörten alten Stationsgebäudes einen sehr schönen neuen Bahnhof habe. Dem biederen Schweizer war das sehr gleichartig; er brummte auf diese Mittheilung nur ein verständnißinniges Hm. Aber der Schlettstädter hatte den Uebergang gefunden, um das begonnene politische Gespräch unter neutraler Flagge fortsetzen zu können. „Alles, was recht ist" — sagte er vertraulich, jedoch laut genug, um auch von mir gehört zu werden — „Alles, was recht ist, aber Eins muß man den Deutschen lassen; was sie im Krieg zerschossen haben, haben sie schnell und nobel wieder aufgebaut." Der Schweizer antwortete: „Sehen Sie!" Dann rasselte der Zug weiter, und soviel ich von dem weiteren Gespräch der Zwei noch verstehen konnte, bewegte es sich von jetzt an nur noch über internationale Gegenstände, als da sind Wetter und Wein, Hopfen und Malz ?e. —
Man konnte und kann aus deutschem Mund nicht selten die Meinung hören, es sei unklug gewesen, die Entschädigungen für Beschießungsschäden und Kriegsleistungen in Elsaß-Lothringen so reichlich zu gewähren, als geschehen ist. Die Leute hätten das Geld als ihr „Recht" eingesteckt und ob sie auch das beste Geschäft dabei gemacht, nach wie vor auf die Deutschen gescholten. Das ist gewiß wahr, und man hat einzelne, ja viele Beispiele, denen gegenüber der Unmuth dieser Meinung berechtigt erscheint. Trotzdem ist sie irrig. Denn die Grundstimmung, welche durch die Entschädigungen im Volksgemüth hervorgerufen wurde, ist doch diejenige, welcher mein Schlettstädter „Patriot" Ausdruck gab, wenn er sagte: „Das muß man den Deutschen lassen." Daß sie aber überhaupt „einen guten Fetzen" an uns lassen, an uns lassen müssen, ist schon ein hoch anzuschlagender Gewinn. Dieß unwillkürliche, fast widerwillige Anerkennen einer guten Seite des „Unterdrückers" unterscheidet sie bereits wesentlich von den Franzosen, deren haßerfüllte Phantasie in uns nur barbarische Steppenteufel erblickt! Ein Haß, in welchem Achtung vor dem Gehaßten unvermerkt Wurzeln zu schlagen anfängt. ist schon kein richtiger Haß mehr, und ein Fanatiker, der zweifelt, gleicht einem Kranken in der Krisis.
Ohne Zweifel haben nun, wie gesagt, im Verein mit anderen Erfahrungen von der „Menschlichkeit" der „Preußen" die reichlich gewährten Entschädigungsgelder nach dieser Seite hin heilend und beschwichtigend gewirkt. Sind doch