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sein Thun und Lassen in seine Brust zu legen, so mußte diese Richtung auf Freiheit und Selbständigkeit auch in den Völkerindividualitäten zum Durchbruch kommen: nicht als ob der Humanismus an sich ein staatenbildendes Princip wäre, sondern deshalb, weil das Volk, dessen Bildung er als Reformprincip der Gegenwart überlieferte, in der Pflege der Staats- und Rechtsidee seinen höchsten weltgeschichtlichen Beruf erfüllt hatte.
Es ist aber dem Gelehrten und Dichter nicht gegeben, unmittelbar Nationen zu einigen und Staaten zu gründen. Seine Wirkung ist nur mittelbar; er arbeitet dem Staatsmann vor, indem er in die Massen die Keime der Bildung senkt, dem Volksthum einen geistigen Gehalt bietet, das Bewußtsein der idealen Einheit weckt und nährt, welche die feste Grundlage der politischen Einheit ist. Die Gemeinsamkeit der Volkssprache allein ist kein genügender Schutz des Volksthums; die Volkssprache geht in Mundarten auseinander, die sich immer weiter von einander entfernen, wenn nicht eine gebildete, in literarischen Schöpfungen stetig sich entwickelnde Schriftsprache sich als einigendes Band um die Dialekte schlingt, ihrer Mißbildung zu selbstständigen Idiomen Schranken setzt und durch ihre Vermittlung einen gemeinsamen Gedankengehalt, ein eigenthümliches Geistesleben in der Nation schafft. Das ist in den Zeiten politischer Zerrüttung die nationale Aufgabe vor Allem des Dichters und durch die glänzende Lösung dieser Aufgabe haben sich die drei großen italienischen Dichter des 14. Jahrhunderts um ihr Vaterland' ein unsterbliches Verdienst erworben.
Und vielleicht nimmt unter den dreien , soweit es sich um die nationale Bedeutung handelt, Petrarca als Schöpfer der italienischen Lyrik, der er das eigenthümliche Gepräge seines Genius aufgedrückt hat, die erste Stelle ein. Dante steht unnahbar auf einsamer steiler Höhe; sein unsterbliches Werk ist so durchaus eigenthümlich, so einzig in seiner Art, es ist so dunkel, es nimmt sür sein Verständniß ein so tiefes Studium in Anspruch, daß es weder der Ausgangspunkt für eine neue dichterische Entwickelung werden, noch über die Kreise der Höchstgebildeten hinaus, als Eigenthum in Fleisch und Blut des Volkes übergehen konnte. Dante hat ein unvergängliches Kunstwerk, aber keine neue Kunstform geschaffen, wie Petrarca, der es verstand, seinen Empfindungen und Gefühlen einen Ausdruck zu geben, der für alle seine Nachfolger auf dem Gebiete der Lyrik, auch wenn sie nicht Nachahmer waren, vorbildlich geworden ist. Er hat der italienischen Lyrik, und wir können wohl allgemeiner sagen, der italienischen Poesie die Richtung vorgeschrieben, gewissermaßen die Gesetze ihrer Entwickelung gegeben. Erkennen wir doch auch in den großen Epikern des 16. Jahrhunderts ohne Mühe und auf den ersten Blick die nahe Verwandtschaft mit dem Liebessänger des XIV. Jahrhunderts,
Grmzbote» III. 1874, 12