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Die Gazeta Narodowa und der "Verfall der Menschheit":
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deren Pesthauch (sie!) sich von Berlin aus über alle Länder verbreitet, ganz Europa erfüllt und Alles, was noch gesund ist, paralyfirt. Die Wissenschaft ist auf Abwege gerathen und hat die Bahnen des Materialismus beschulten; die gesellschaftlichen Zustände sind so weit gelockert, daß alle Bande auf­gelöst sind. Das Mißtrauen zwischen den einzelnen Ländern hat die Budgets mit ungeheuren Summen belastet, welche die jetzigen, bisher nicht dagewesenen Rüstungen erfordern. In finanziellen Kreisen ist das Mißtrauen eben so groß, wie zwischen den Staaten. Diebstähle und Betrügereien sind an der Tagesordnung. Die Habgier ist abscheulicher als jemals, die Ausschweifung größer als zu den Zeiten der Römer, und nachdem Alles, was dem Gefühl entspringt, wie Glaube, Liebe, Aufopferung, Poesie verhöhnt worden, werden aus allen Städten Europas Nachrichten von beständigen Selbstmorden ge­meldet. In unserm Lemberg sind im Verlauf einer Woche sieben Selbstmorde vorgekommen, in andern Städten ereignen sich so viele alle Tage.

Es sind dies Anzeichen der Erniedrigung und des Verfalls, welchen die Geschichte als Folge der Siege Deutschlands, die es zur ersten militärischen und politischen Macht erhoben haben, verzeichnen wird.

Als Frankreich gesiegt hatte und sein Volk in Europa den Ton angab, durchwehte ein gesunder Hauch alle Verhältnisse. Die Menschheit hob sich moralisch, wissenschaftlich, social und die Geschichte verzeichnete einen all­gemeinen Fortschritt.

Dieser Unterschied der Einflüsse der Siege zweier Nationen ist ein Faktum, welches über den Werth der Franzosen und der Deutschen entscheiden wird.

Dieser Werth tritt noch greller in Hinsicht der politischen Verhältnisse hervor. Die Franzosen, obschon sie nichts Erfolgreiches für Polen gethan haben, streckten ihm gleichwohl die hülfreiche Hand entgegen, zeigten für die Opfer dieser wichtigsten und heiligsten Sache in Europa Mitgefühl und Anerkennung. Die siegreichen Deutschen haben diese Sache in nichtswürdiger Weise verhöhnt, ihre Regierung dagegen hat den Glauben, die Sprache und die Interessen Polens grausam verfolgt.

Die Gesetze, womit man die Kirche in Fesseln geschmiedet und durch welche man die Katholiken zersprengt, diese rücksichtslosen, der Toleranz widerstrebenden Gesetze werden unerbittlich in den von Polen abgerissenen Landestheilen zur Ausführung gebracht: am Rhein und in andern von Katholiken bewohnten deutschen Gegenden wendet man sie bei Weitem gelinder an. Der Erzbischof von Posen und Gnesen ist in Haft und in rechtswidriger Weise (sie!) seines erzbischöflichen Amtes entsetzt; das Kirchen­vermögen wird sequestrirt, das Capitel ist auseinander getrieben, die Ver­waltung der Diöcese ist einem protestantischen Civil-Beamten übertragen, die Seminarien sind geschlossen, eine Menge Geistlicher eingekerkert - und die