348
auch jener, der bis zum Ueberdruß Schilderungen von dieser Weltstraße gelesen , das Buch nicht unbefriedigt aus der Hand legen. Ein so gewiegter Mann, wie Herr v. Hübner, würde auch am Lebensabend nicht noch als Schriftsteller aufgetreten sein, hätte er nicht das Bewußtsein gehabt, etwas Tüchtiges zu leisten. So nehmen wir das Werk denn dankbar auf, als eine angenehme, freundliche und bescheiden gebotene Gabe, als ein Buch, das ganz vorzüglich geeignet ist, dem großen geoiloeten Publikum Einblicke in das Wesen des amerikanischen, japanischen und chinesischen Volks zu geben. Der Gelehrte findet dagegen nur hier und da ein Körnchen, das ihm nutzbar erscheint — aber für ihn ist das Buch auch nicht geschrieben. Vermöge seiner Stellung und Beziehungen fand Hübner leichter bei vielen Persönlichkeiten Zutritt, als der gewöhnliche Sterbliche. Seine diplomatischen Collegen kamen ihm überall freundlich entgegen, ebneten ihm die Wege und so sah er denn den Mormonenpräsidenten, den Mikado und hatte Zwiegespräche mit den Männern, die jetzt an der Spitze der Reformation in Japan stehen.
Das üble Urtheil, welches nach der gewöhnlichen Schablone gegenwärtig in Europa über die Vereinigten Staaten herrscht und dem frühern Lobpreisen dieses großen Landes Platz gemacht hat, findet allerdings bei Hübner manche Bestätigung, obgleich er mit angeborenem Gerechtigkeitsgefühl unparteiisch abzuwägen sucht. In manchen Studien giebt er Amerika den Vorzug, selbst in Bezug auf das Proletariat und wir stimmen da herzlich mit ihm überein, da unser Proletariat in seiner Ueberhebung eine geradezu widerwärtige Erscheinung geworden ist. Auch in den Vereinigten Staaten wird die fashionable Welt vom Manne des vierten Standes nur „geduldet." „Aber diese Duldung erklärt sich durch die Hoffnung, welche dort jeder hat, zu ähnlichem Wohlstande zu gelangen. Warum soll auch der Arbeiter sein Weib, welches heute Wäsche wäscht, nicht eines Tags im Landauer auf dem Newyorker Broadway spazieren fahren sehen, warum soll er nicht alle dem Luxus stöhnen können, den er vor sich sieht, und der mehr sein Gelüst als seinen Neid erregt? Darin liegt der Unterschied zwischen dem amerikanischen und europäischen Demokraten." „Der letztere, sagt Hübner vollkommen richtig, verzweifelt sich zu erheben, daher sucht er die anderen zu erniedrigen. Seine moralische Triebfeder ist der Neid, sein Beruf zu nivelliren und zu zerstören." Der Amerikaner dagegen sucht den Genuß, verdient Geld, um ihn zu erlangen, trachtet zu steigen. „Ich gebe der amerikanischen Methode den Vorzug."
Im Lande der simplen Puritaner und der einfachen Republik Washington's ist heute der Luxus zu einem Grade gediehen, vor dem jener der alten Welt förmlich verblaßt. In Amerika ist es erlaubt, den übertriebensten Luxus zur Schau zu tragen, weil eben die materiellen Güter einem jeden zugängig sind.