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schreibt er im Januar 1823 an einen seiner Jugendfreunde, und in den Aufzeichnungen über seine Leetüre vom December des vorhergehenden Jahres erscheinen auch Pausanias, Diodor von Sicilien und Wolf's „Prolegomena zum Homer". Aber schon äußert sich auch sein scharfer kritischer Verstand: „Ich bin völlig erstaunt zu sehen, mit welcher außerordentlichen Gier und mit welchem Leichtsinn die Menschen etwas behaupten, glauben, noch einmal behaupten und Glauben finden. Die Schwäche ist offenbar eine nahezu allgemeine." Das Verdienst jedoch, Grote dazu angetrieben zu haben, daß er selber eine neue „Geschichte Griechenlands" schrieb, nimmt aufs Bestimmteste Harriet für sich in Anspruch. Als sie im Herbst des Jahres 1823 fortwährend im häuslichen Kreise das Thema der griechischen Geschichte erörtern hörte, sagte sie endlich zu ihm: „Das wäre ein schöner Gegenstand für dich; ich meine, du versuchst es einmal damit", und nach einer kurzen Zeit der Ueber- legung kam er wirklich zu dem Entschlüsse, Hand ans Werk zu legen. In der geringen Muße, die das Bankgeschäft ihm ließ, widmete er sich von nun an ununterbrochen dem einmal gefaßten Plane, und doch fand er neben dem unausgesetzten Studium der Alten auch noch Zeit, gründliche Bekanntschaft mit der Litteratur der modernen Sprachen zu machen. Die ersten Früchte seines Fleißes und seines Scharfsinnes gab er in seiner Recension von Mil- ford's „Griechischer Geschichte", die im April 1826 in der Westminster Review erschien und zum ersten Male Niebuhr's Aufmerksamkeit auf den gleichstrebenden jüngeren Forscher lenkte. Die Absicht Grote's, im Mai 1827 nach dem Continent zu reisen und dabei in Bonn Niebuhr's persönliche Bekanntschaft zu machen, wurde wieder aufgegeben; beide, der große griechische und der große römische Geschichtsschreiber sind einander nie im Leben begegnet. Doch schon auf jene Recension hin schrieb Niebuhr 1827 an Grote: „Sie zu sehen, mich mit Ihnen über den edlen Gegenstand zu unterhalten, der Ihre Mußestunden in Anspruch nimmt, und dem gerecht zu werden Sie sich schon in so hervorragender Weise befähigt erwiesen haben, wird mir ein auserlesener Genuß sein. Wir beide können ohne persönliche Bekanntschaft wissen, daß zwischen unsern Principien und unsern historischen Anschauungen eine solche Geistesverwandtschaft besteht, daß wir berufen sind, mit einander bekannt zu werden und unsere Arbeiten zu verknüpfen. In der griechischen Geschichte, vielleicht mit ein paar Ausnahmen von solchen Punkten, zu deren Untersuchung ich geführt worden bin, habe ich von Ihnen nur zu lernen."
Rege Aufmerksamkeit widmete Grote um diese Zeit auch dem Plane, der zuerst 182S aufgetaucht war, in London eine Universität zu gründen, die von allen religiösen Lehren unabhängig sein, die höhere geistige Ausbildung den Händen des Klerus entziehen und so auch den Söhnen der Dissenters ermöglichen sollte. Im April 1827 wurde der Grundstein zu dieser neuen