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arbeit aber war sie so mit ihm verwachsen, daß sie schließlich entschieden nicht mehr im Stande war, ihr Wesen und sein Wesen auseinanderzuhalten; beide sind eins, und wenn Grote der „berühmte Gatte" ist, so erscheint sie sich selbst, darüber kann kein Zweifel sein, als die berühmte Gattin. Daher kommt es, daß in dem Buche mindestens eben so viel von Harriet als von George Grote die Rede ist, und da die Verfasserin z. B. seit langen Jahren an nervösem Kopfweh leidet, so hält sie es für ihre Pflicht, Jahr für Jahr über den Grad ihrer neuralgischen Beschwerden ebenso gewissenhaft Bericht zu erstatten, wie über die Fortschritte von Grote's „Griechischer Geschichte". So drängt sich durch das ganze Buch das Kleine anspruchsvoll neben das Große; neben werthvollen, aber nur für den Fachgelehrten verständlichen philologischen Erörterungen Grote's über irgend eine Stelle des Thukydides oder Aristoteles erscheinen immer und immer wieder Nachrichten über Reisen in die Provinz oder nach dem Continente, über Wechsel des Aufenthalts und der Wohnung — und das Grote'sche Paar hat ein wahres Nomadenleben geführt — über Besuche, die gemacht, und Gäste, die empfangen worden sind, bet der bekannten englischen Gastfreundschaft natürlich ebenfalls ein endloser Stoff zum Erzählen, sogar über Mittags- und Abendessen und die dabei gepflogene Unterhaltung, kurz über Dinge, für die selbst bei der tiefsten Verehrung vor Grote unmöglich jeder deutsche Leser Interesse haben kann. Denn auch das Kulnani nidil g. ins alienum hat seine Gränzen.
Im Folgenden versuchen wir, die Zisjeets. memdiÄ von Harriet Grote's Buch zu einem erträglich deutlichen Umrisse von Grote's Lebensgang und Charakter zu verbinden, nicht etwa, — wovor wir uns ausdrücklich verwahren, — um die Lectüre des Buches überflüssig zu machen, sondern im Gegentheile, um recht dazu anzuregen. Enthält es doch auch des Anziehenden und Liebenswürdigen so viel, daß man das Unbedeutende, wenn es denn nicht anders angeht, schon einmal mit in Kauf nehmen kann.
Grote stammte von deutschen Voreltern ab. Sein Großvater Andreas Grote war um die Mitte des 18. Jahrhunderts aus seiner Vaterstadt Bremen nach London übergesiedelt und hatte dort 1766 ein Bankgeschäft gegründet; Andreas' ältester Sohn aus zweiter Ehe, in dessen Hände das Geschäft später überging, wurde der Vater des großen Geschichtsschreibers. Am 17. November 1794 wurde George Grote geboren. Mit zehn Jahren wurde er in die Charterhouseschule geschickt, mit sechzehn trat er, trotz seiner lebhaften Neigung zu weiteren wissenschaftlichen Studien, welche durch den Uebergang zur akademischen Laufbahn hätten gefördert werden sollen, auf den Willen seines Vaters in dessen Bankgeschäft ein. Aber sofort theilte sich sein Interesse zwischen den ihm angewiesenen und seinem erkorenen Berufe. Er hatte auf der Schule eine entschiedene Vorliebe für die alten Classiker gefaßt, und so