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Briefe aus der Kaiserstadt.
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Kaiserkrone überreichende König Ludwig das Gewand eines Pagen, oder wenn es nun einmal was historisch freilich eben so wenig richtig ist ein Page sein soll, warum dieser Page ganz unverkennbar die Züge König Ludwig's trägt, ist schlechterdings unergründbar. Bon der in einer Wolke heranbrausenden gallischen Kriegshorde wird Jeder erwarten, daß sie eine durchweg aus symbolischen Gestalten zusammengesetzte Gruppe sei. Die Hauptfigur zeigt freilich eine in die Augen springende Aehnlichkeit mit dem ersten Napoleon, aber die flatternde Toga läßt uns vermuthen, daß sie als Cäsarentypus im Allgemeinen aufzufassen sei. Wenn wir nun aber erfahren, daß mit ihr kein Anderer als Emile de Girardin gemeint ist, so wird es uns wahrlich schwer, unsere Ueberraschung in den parlamentarischen Grenzen zu halten. Uneingeschränktes Lob aber verdienen die unmittelbar aus dem Leben gegriffenen Partien der Composition; es sind Genrebilder von jenem idealen Realismus, wenn diese paradoxe Bezeichnung erlaubt ist, die Werner's Schöpfungen durchweg charaklerisirt. Am anmuthigsten wirkt unstreitig gleich die erste Scene; das Blondköpfchen namentlich mit dem Kornblumenkranz im Haar, wie es auflauscht, wird auf keinen Beschauer eines tief ergreifenden Eindrucks verfehlen. Und dann, welch erhebender An­blick, wie der bärtige Landwehrmann das Handwerkszeug zur Seite wirft, um dem Rufe des Vaterlandes zu folgen in den heiligen Krieg! So bleibt denn trotz Allem das Endurtheil über den Werner'schen Fries: er ist eine großartige, geniale Composition. Eingefügt in das Ensemble des Sieges­denkmals wird er die Zusammensetzung desselben freilich nur noch heterogener und damit das Ganze für das streng ästhetische Urtheil nur noch bedenklicher machen. Aber da wir nun einmal mit dem Monument, so wie es ist, vor­lieb nehmen müssen, so wird man dreist behaupten können, daß der Werner'sche Fries demselben ein Hauptschmuck, wenn nicht sein bester Schmuck sein wird.

Noch ein anderes die deutschen Siege und die Wiedererrichtung des Reichs verherrlichendes Kunstwerk hatten wir in jüngster Zeit Gelegenheit, kennen zu lernen, den von Schilling in Dresden geschaffenen Entwurf des Nationaldenkmals auf dem Niederwald. Da wir es nur mit einem Modell zu thun haben, so ist eine eingehende Kritik kaum möglich. Der Gesammt- eindruck des Werkes aber darf als ein höchst befriedigender bezeichnet werden, sowohl was die Skulpturen. als was die Architektonik betrifft. Auf einem breiten Unterbau führen mächtige Stufen zu dem eigentlichen Sockel des Monuments, vor welchem Rhein und Mosel in allegorischen Gestalten er­scheinen. Eine Abstufung höher breitet sich ein reich bewegtes Relief aus, das deutsche Kriegsheer darstellend, wie es unter Kaiser Wilhelm's Führung in den Kampf zieht. Ein mächtiger Adler schwebt über der Gruppe. Aber­mals eine Abstufung höher erhebt sich ein neuer Sockel, an dessen beiden