Ariese ans der Kaiserstadt.
Berlin. 26. April. Leichten Tones zu plaudern, derweil man im Herzen die bange Sorge birgt, das ist eine schwere Kunst, und nicht Jeder versteht sie zu üben. So dacht' ich, als vor wenigen Wochen am Himmel unserer inneren Politik sich Mölke auf Wolke thürmte, und darum mein langes Schweigen. Heute ist die Luft wieder klar, eben ziehen die Reichsboten in den Weißen Saal unseres Königsschlosses, um aus des Kaisers Munde den Dank der Nation entgegenzunehmen für ihre fleißige und verständige Arbeit, und neu gefestigt sind die Grundlagen für eine ersprießliche Entwickelung des Reichs. Aber noch ehe unsere parlamentarischen Wintergäste der Hauptstadt den Rücken kehrten, ist der Frühling mit Macht hereingebrochen; wer nur immer kann, entflieht dem ungeheueren Häusermeer, um wenigstens im Thiergarten sich des ersten Maischmncks zu freuen, bevor Staub und Sonnenbrand denselben in jene graugrüne Masse verwandelt haben, die von einem Laubwald nur noch den Namen trägt. Was kann da noch viel zu erzählen sein aus der Kaiserstadt? Ist doch in diesen wenigen Lenzestagen das kleinste Walddörflein besser daran, als die glänzende Metropole! Und dennoch ist das innere Leben derselben in den letzten Wochen sehr bewegt, dennoch ist die Saison gerade noch kurz vor ihrem Ende besonders fruchtbar gewesen. So fiel das Hauptereigniß der ganzen diesmaligen Opernsaison in die eben verstrichene Woche, nämlich die erste Aufführung von Verdi's „Aida." Mit Spannung war dies Werk des alternden Maestro erwartet worden; es sollte ja nach den Einen die Bekehrung der italienischen Musik zur Wagner'schen Tonkunst oder wenigstens eine entscheidende Beeinflussung der ersteren durch die letztere bezeichnen, nach den Anderen sogar selbst der bahnbrechende Ausgangspunkt einer neuen und eigenthümlichen Richtung sein. Die Aufführung bewies, daß weder die eine noch die andere Ansicht richtig ist. Wenn die „Zukunftsmusik" aus die italienische Musik keine durchgreifendere Wirkung üben wird, als wie sie in dieser Verdi'schen Schöpfung zu Tage tritt, so wird sie jenseits der Alpen eher alles Andere, als eine Zukunft haben. Aber noch unfindbarer als der Wagner'sche Charakter der „Aida", ist ihre bahnbrechende Originalität. Abgesehen von einigen Wagner'schen Klangfärbungen der Ouvertüre sind die beiden ersten Acte der reine Meyerbeer reclivivu?. In sehr merklichem Unterschiede von ihnen tritt dann im dritten Acte der alte Verdi selbst auf den Plan, läßt sich jedoch von Gounod recht liebevoll unter die Arme greifen, der ihm im ersten Theile des vierten Acts sogar die Mühe fast ganz abnimmt. In der Schlußscene theilen sich Gounod und Wagner in die Arbeit, doch hat die Lohengrinlyrik unverkennbar den Vorrang. Alles in allem genommen,