Beitrag 
Das Sächsische Ministerium und der jüngste Landtag.
Seite
67
Einzelbild herunterladen
 

«7

verfangen; Dank der Eifersucht dieses, den geheimen partieularistischen Nei­gungen jenes Führers der Fortschrittspartei hatte letztere wirklich auf den ihr vorgehaltenen Köder angebissen und sich von den National-Liberalen, mit denen sie zwei Jahre lang untrennbar und fast ununterscheidbar Hand in Hand gegangen war, in ziemlich schroffer Weise getrennt. Schon die Wahlen hatten unter dieser Spaltung der liberalen Partei gelitten und waren etwas mehr nach rechts ausgefallen, als sonst wohl der Fall gewesen wäre. Die Liberalen behielten eine schwache Mehrheit in der II. Kammer, aber sie ge­wannen kein oder nur wenig neues Terrain. Und auch dieser kleine Vor­theil ging wieder so ziemlich verloren, als in der Kammer der Fortschritt abermals eine Sonderstellung einnahm, die er den ganzen Landtag hindurch, mit entschiedener, fast beleidigender Abweisung aller entgegenkommenden Annäherungsversuche von der andern Seite, hartnäckig festhielt. So weit ging diese Sonderpolitik der Fortschrittspartei, daß, während die Liberalen, um nur nicht der Rechten das Feld zu lassen, mit größter Selbstlosigkeit bei der Präsidentenwahl zwei Mit- glieder vom Fortschritt in erste Linie stellten, von eignen Candidaten aber gänzlich absahen, bei den Wahlen in die Deputationen der Fortschritt mit den Conservativen gegen sie Front machte, auf diese Weise die Deputationen besonders die diesmal wichtigste von allen, die Finanzdeputation überwie­gend mit Leuten von sich und von der Rechten besetzte, die Liberalen aber, und speziell die National-Liberalen, gänzlich in den Hintergrund drängte!

Namentlich die einseitige Besetzung der Finanzdeputation war für die liberale Sache ein schwerer Nachtheil, für die Regierung eine große und un­erwartete Begünstigung. Denn in der Finanzdeputation lag der Haupt­schwerpunkt des ganzen Landtags von 1873/74. Konnte man den vorher­gehenden Landtag wegen seiner rührigen Gesetzgebungsarbeit denReform- Landtag" nennen, so hatte die öffentliche Stimme nicht Unrecht, wenn sie diesen neuesten, denBewilligung^-Landtag" taufte. Gesetzesvorlagen brachte der­selbe überhaupt wenige, noch weniger solche von tiefergreifender Bedeutung. Dawider war nichts zu. sagen. Der vorige Landtag hatte so viel und so vielseitig reformirt, daß mit der Ein- und Durchführung der betreffenden Gesetze, dem Sichhineinleben und Sichdarangewöhnen, Regierung. Behörde und Bevölkerung auf lange hin genug zu thun haben. Wohl aus eben dieser Rücksicht, vielleicht auch, weil sie wegen der unsichern Stellung der Fort­schrittspartei auf keine zuverlässige Mehrheit rechnen mochten, enthielten sich die Liberalen diesmal beinahe aller Initiativanträge. So war und blieb die Weitaus quantitativ und qualitativ wichtigste Arbeit des Landtags die sinanzielle. Denn auch das einzige Gesetz von großer reformatorischer Tragweite, womit der Landtag befaßt wurde, war finanzieller Natur, das Gesetz wegen einer Umgestaltung des ganzen dermaligm Besteuerungswesens in Sachsen. Die