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kommen, und in der Hoffnung, die Regierungen jener Länder durch Dankbarkeit für die Turiner Politik zu gewinnen. Darüber kam das neue Ministerium schon nach wenigen Wochen wieder zu Falle, und Ratazzi, der Haupturheber seines Sturzes, mußte, wahrscheinlich wider Wunsch und Willen, Gioberti's Stelle einnehmen.
Durch das Beispiel seines Vorgängers gewarnt, glaubte Ratazzi die Politik, welche er als Oppositivnsmann verfochten, auch als Minister, auf jede Gefahr hin. beibehalten zu sollen. Am 20. März erfolgte die Kündigung des Mailänder Waffenstillstandes, binnen den nächsten drei Tagen wurden die Piemontesen bei Mortara und Novara zwei Mal geschlagen, und unmittelbar nach der letzten Niederlage leistete Karl Albert dem Staate den größten aller Dienste, deren er jemals fähig geworden, durch seine Abdankung zu Gunsten seines Sohnes Victor Emanuel. Mit dem Könige trat auch der Minister zurück, der das neue Unglück verschuldet.
Der Zustand des Landes war dies Mal nahezu verzweifelt. In dem Heere offene Meuterei, in Turin vollständige Lähmung des öffentlichen Geistes, in Genua, der zweiten Hauptstadt des Königreichs, ein siegreicher republikanischer Aufstand, im ganzen Volke Entmuthigung, Mißtrauen, Erbitterung, Unglauben an sich selbst und an die Zukunft, Von weiterem Widerstande gegen Oesterreich sprachen kaum noch ein paar Tollköpfe.
Der gesunde ehrliche Sinn des jungen Königs in Gemeinschaft mit der vielseitigen Befähigung und der allgemein anerkannten Nechtschaffenheit des von ihm an die Spitze des Ministeriums berufenen Massimo d'Azeglio fanden die richtigen Hülfsmittel in der äußersten Noth. Victor Emanuel begann seine Regierung mit dem Eide auf die in höfischen Kreisen und im Heere mehr als je verrufene Verfassung, und gewann durch seine ganze Haltung von vornherein das unbedingte Vertrauen des Landes in seine Ehrenhaftigkeit und seinen Patriotismus, überhaupt eine Volksgunst, die sein Vater niemals verdient und niemals besessen. Den kräftigen und klugen Maßregeln der Regierung gelang es binnen kurzem, den Ausruhr in Genua zu beendigen, den gebeugten Nationalgeist wieder aufzurichten, den Ton der Parteileidenschaften herabzustimmen. Die zwar harten, aber unabweislichen Friedensbedingungen Oesterreichs fanden allerdings heftigen Widerstand uud Widerspruch in der von Azeglio zunächst einberufenen Kammer, in welcher Cavour wiederum fehlte; nach Auflösung derselben aber ergaben die Neuwahlen eine ministerielle Mehrheit, innerhalb deren Cavour — nachdem er sechs Monate lang vom Parlamente ausgeschlossen gewesen und während des kurzen Ministeriums Ratazzi, wie es scheint, in den Hintergrund auch des Zeitungskampfes getreten, weil er dessen kriegerische Absichten wed^r billigen, noch im Augenblicke der Ausführung entmuthigen wollte — den bedeutendsten Platz einnahm.